Titelbild von Der besondere Fall
Logo von Der besondere Fall

Der besondere Fall

21. Okt. 2022
Medizingeschichte

Die Analfistel des Sonnenkönigs

Der absolutistische französische König Ludwig XIV. (1638-1715), auch Sonnenkönig genannt, entwickelte einen perianalen Abszess. Zahlreiche Behandlungsversuche waren erfolglos. Erfahren Sie, wie dem König schließlich geholfen wurde und welche Auswirkungen dies auf die Chirurgie hatte.1

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Ludwig XIV.

Autor: Christoph Renninger

Probleme am königlichen Hintern

Im Januar des Jahres 1686 formte sich ein Tumor am Unterkörper des Königs. Sein Leibarzt Antoine Daquin beschreibt ihn als kleinen Knoten, zwei Fingerbreit vom Anus entfernt, nicht schmerzhaft, gerötet oder pulsierend. Wahrscheinlich wurde der Knoten durch eine entzündende Drüse ausgelöst, da dies im 17. Jahrhundert häufig vorkam.

Die Ärzte des Königs begannen die Behandlung mit verschiedenen Arten von Kompressen, etwa mit Zucker, verschiedenen Kräutern oder in Rotwein gekochten Rosen. Als sich aus dem Knoten ein perianaler Abszess entwickelte, wurde dieser punktiert, um Eiter abzulassen. Den entstandenen Hohlraum füllten die Ärzte mit verschiedenen Substanzen, zu großem Schmerz des Königs.

Ludwig XIV. wurde zunehmend wütend, da der Abszess weiter eiterte und er sich deshalb täglich 2-3-mal umziehen musste. Seine Beschwerden dauerten Monate an, auch die Schmerzen nahmen zu. Ein jedes Mal, wenn er sich besser fühlte, machten es die Hofärzte durch Einläufe und Abführmittel wieder schlimmer. Nach vier Monaten hatte sich eine Fistel gebildet. Regelmäßige Behandlungen mit rot-glühendem Eisen hatten die Ausmaße noch vergrößert.

Nach Monaten der Schmerzen und anderer Beschwerden realisierte der Herrscher, dass seine Ärzte machtlos waren, und entschied sich für eine Operation. Bis dahin isolierte er sich mürrisch in seinen privaten Gemächern in Versailles. Am Hofe war er nur noch selten zu sehen, er musste das Reiten aufgeben und in den Gärten hielt er sich in einer Sänfte auf.

Das Vorspiel zur Operation

Zur damaligen Zeit waren Chirurgen von niedrigerem Rang als Ärzte. Und kein Chirurg sollte es wagen Hand an den König zu legen, ohne den Eingriff perfekt zu beherrschen. Die Operation wurde im Detail und streng geheim geplant. Außer den Ärzten des Königs, waren lediglich seine Mätresse und geheime Ehefrau Madame de Maintenon und sein Beichtvater Pére La Chaise darüber informiert. Der Thronfolger wusste nichts davon.

Der königliche Chirurg Charles-François Félix (junior) (1635 – 1703) hatte eine derartige Operation nie zuvor durchgeführt, durfte aber experimentell Erfahrungen sammeln. An Patienten aus den Krankenhäusern in Versailles wurde der Eingriff getestet. Historiker haben erfolglos versucht, mehr über deren Schicksal in Erfahrung zu bringen. Gerüchte besagen, dass die verstorbenen bei Sonnenaufgang heimlich beerdigt wurden und lediglich ein Patient überlebte.

Royales Skalpell
Abb. 1 Das königliche Skalpell (Musée d'Histoire de la Médecine, Paris)
Royales Skalpell
Abb. 1 Das königliche Skalpell (Musée d'Histoire de la Médecine, Paris)

Félix sorgte sich vor allem um die richtigen Instrumente und entwickelte das „le bistouri royal“ (das königliche Skalpell) (Abb.1). Es handelte sich um ein langes, gebogenes Silberskalpell, das inzwischen im Musée d'Histoire de la Médecine in Paris ausgestellt ist.

Der Tag der Operation

Am Tag vor dem Eingriff spazierte der König durch seine Gärten, aß mit der Familie zu Abend. Aufgrund der starken Schmerzen dabei, fasste er schließlich den Entschluss, die Operation kurzfristig um einen weiteren Tag zu verschieben. Am 18. November 1686 um 7 Uhr morgens sollte es also soweit sein.

Um keinen Verdacht zu erregen, waren die königlichen Ärzte und Chirurgen, sowie vier Apotheker in den frühen Morgenstunden auf unterschiedlichen Wegen im Vorzimmer des königlichen Schlafgemachs eingetroffen. Nach einem prä-operativen Einlauf zeigte der König großes Interesse an den Instrumenten, die zum Einsatz kommen sollten und schien seine Nerven gut unter Kontrolle zu haben.

Ludwig XIV. legte sich nun bäuchlings auf ein Bett, mit einem Kissen unter dem Bauch und weit gespreizten Beinen. Die dreistündige Operation wurde ohne eine Art der Anästhesie durchgeführt. Angeblich beschwerte sich der König nicht über Schmerzen und rief lediglich zwei Mal „Mon Dieu“, obwohl die Schmerzen qualvoll gewesen sein müssen.

Der Eingriff war ein Erfolg, der König geheilt. Später waren zwei weitere ähnliche Eingriffe notwendig. Der Sonnenkönig aber war von der Methode der Operation überzeugt, sogar sehr erfreut. Schnell machte sich die Kunde von der Heilung im Palast breit. Der König hielt von seinem Bett aus Hof, singend und in bester Stimmung. Keine zwei Tage später war Ludwig XIV. wieder auf den Beinen.

Lehr-Video: Fadendrainage bei hochtranssphinktärer Analfistel

Heutzutage stellt die Fadendrainage eine vorbereitende Maßnahme für einen anschließenden Fistelverschluss dar. Im folgenden Beitrag werden alle wesentlichen Arbeitsschritte einer Fadendrainage bei einer hochtranssphinktären Analfistel in Videosequenzen und Text dargestellt. Zum Beitrag >>

Ein Platz in den Geschichtsbüchern?

Es war die wohl berühmteste Operation des 17. Jahrhunderts, in den persönlichen Krankenakten des Königs taucht sie jedoch lediglich mit einem halbseitigen Satz auf. Daquin, mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber Chirurgen, hätte wohl ganz darauf verzichtet. Nach dem Eingriff ordnete er zudem einen Aderlass an.

Félix als operierender Chirurg war natürlich an einer ausführlicheren Beschreibung interessiert und verfasste am Tag darauf ein 18-seitiges Dokument. Über den Verbleib dieses Berichts in den darauffolgenden Jahren ist wenig bekannt. 2007 soll er wieder aufgetaucht und bei einer Auktion für 4000 Euro versteigert worden sein.

Welche Folgen hatte die Operation?

Welche Konsequenzen die Operation an der Analfistel von Ludwig XIV. für die beteiligten Personen, aber auch für das Feld der Chirurgie an sich hatten, lesen Sie im zweiten Teil des Beitrags.

Zum zweiten Teil
Quellen anzeigen
Impressum anzeigen