
15-Jähriger mit Schwindel und Fazialisparese nach SARS-CoV-2-Impfung
Das Windpocken-Virus (Varicella-Zoster-Virus/VZV) persistiert lebenslang latent im Körper und kann durch verschiedene Auslöser reaktiviert werden. Eine relativ seltene Symptomvielfalt nach Reaktivierung des VZV haben Dr. Bettina Bobinger-Girke und ihre Kollegen vom Klinikum Landsberg am Lech bei einem 15-jährigen Jungen nach Impfung mit einem mRNA-Impfstoff gegen SARS-CoV-2 beobachtet.1
Lesedauer: ca. 3 Minuten

Autor: Dr. med. Thomas Kron | Redaktion: Dr. Nina Mörsch
Der Patient und seine Geschichte
Der Junge stellte sich nach Angaben der Autoren in der Notaufnahme des Krankenhauses in Landsberg vor, weil er seit einigen Tagen an starken Ohren- und Kopfschmerzen litt. Zudem habe er Schwindel und eine linksseitige Hörminderung angegeben. Am Vorstellungstag habe er, wie er weiter angab, erbrochen und einen Geschmacksverlust der linken Zungenhälfte festgestellt. Beim morgendlichen Zähneputzen sei ihm die Zahnpasta aus dem Mund gelaufen. Weitere Beschwerden habe er nicht angegeben, insbesondere kein Fieber und keinen Juckreiz. An Windpocken sei er im Alter von 2 Jahren erkrankt. Kontakt zu Personen mit aktiver Herpes-Erkrankung habe er seinen Angaben zufolge nicht gehabt. In der Woche vor der Vorstellung im Landsberger Krankenhaus sei er erstmalig mit einem mRNA-Impfstoff (Comirnaty®) gegen SARS-CoV-2 geimpft worden.
Die Befunde
- 15-jähriger schlanker und blasser Junge in einem reduzierten Allgemeinzustand
- Blutdruck: 131/76 mmHg, Körpertemperatur: 37,5 °C, Körpergröße: 192 cm, Körpergewicht: 68,7kg
- Zwei herpetiforme Bläschen am harten Gaumen, weitere Bläschen im linken Gehörgang und an der linken Ohrmuschel; Trommelfelle unauffällig
- Periphere linksseitige Fazialisparese mit abgeschwächtem Zähnezeigen und Stirnrunzeln sowie inkomplettem Lidschluss
- Neurologisch sonst unauffällig, keine meningealen Reizzeichen
- Antigen-Schnelltest und die PCR-Test zum SARS-CoV- 2-Nachweis negativ
- Laborchemisch keine Auffälligkeiten
- Lumbalpunktion: klarer Liquor, lymphozytäre Pleozytose und ein erniedrigter Glucose-Serum-Quotient
- Kraniale MRT: unspezifische, benigne Gliosen; diese grenzen nach Angaben der Autoren links auf Höhe der Cella media und des Hinterhorns an die Seitenventrikel; keine entzündlichen, ischämischen oder malignom-suspekten Veränderungen
- Im weiteren Verlauf Nachweis von Varizella-Zoster-Viren im Liquor und im Trockenabstrich eines Bläschens
- Weitere Erregerdiagnostik unauffällig, Blut- und Liquorkulturen steril
Diagnose, Therapie und Verlauf
Aufgrund der Liquorpleozytose stellten Bobinger-Girke und ihre Kollegen zunächst die Verdachtsdiagnose einer Meningitis. Bis zum Vorliegen der genannten Befunde habe der Patient deshalb eine kalkulierte i.v.-Therapie mit Cefotaxim und Aciclovir erhalten, supportiv eine Infusionstherapie, Ibuprofen und Paracetamol sowie Physiotherapie. Unter der Therapie seien die Schmerzen rückläufig gewesen und die herpetiformen Bläschen abgeheilt. Hörminderung, Fazialisparese und Schwindel hätten jedoch zunächst persistiert.
In der Zusammenschau aller Befunde lautete die Diagnose schließlich Ramsay-Hunt-Syndrom mit Meningitis. Für die Diagnose seien der Zoster oticus und die periphere Fazialisparese mit gleichzeitig bestehender Neuritis vestibulocochlearis entscheidend gewesen, erklären die Autoren. Der Patient erhielt weiterhin Aciclovir (2,25 g/Tag) und zusätzlich noch Prednisolon (50 mg/Tag). Die Hörminderung und das Schwindelgefühl hätten sich hierunter subjektiv gebessert. Lediglich die Fazialisparese sei unverändert geblieben. Nach insgesamt 12-tägiger Aciclovir-Therapie sei der 15-Jährige nach Hause entlassen und ambulant weiterbehandelt worden. Vier Wochen nach der Entlassung sei er schließlich beschwerdefrei gewesen. In der HNO-ärztlichen Untersuchung sei nur eine kontrollbedürftige Beteiligung des Gleichgewichtsorgans aufgefallen.
Diskussion
Das Ramsay-Hunt-Syndrom ist, wie die Autoren erklären, eine seltene Komplikation einer Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus (VZV). Das Bild des Syndroms werde in der Fachliteratur nicht einheitlich definiert. Das Vollbild bestehe einer Definition zufolge aus Ohrenschmerzen, peripherer Fazialisparese und Herpes-zoster-Effloreszenzen in kranialen Dermatomen. Es gebe jedoch eine große Variabilität der Begleitsymptome. Der Namensgeber James Ramsay Hunt habe bereits 1907 berichtet, dass die Symptomentrias oft mit Beschwerden wie Tinnitus, Hörverlust, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und Nystagmus einhergehe. Hunt habe dies auf die anatomische Nähe des N. vestibulocochlearis zum Ganglion geniculatum des N. facialis zurückgeführt. Spätere Untersuchungen hätten dies bestätigt und gezeigt, dass die Erkrankung auf einer VZV-Reaktivierung im Ganglion geniculatum beruhen könne.
Ob allerdings ein Zusammenhang zwischen der Symptomatik des Jungen und der Impfung gegen SARS-CoV-2 bestanden habe, sei anhand der vorliegenden Daten nicht zu klären gewesen, betonen die Autoren.
Dieser Beitrag ist im Original auf Univadis.de erschienen.
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