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Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin

04. Mai 2021

Schilddrüsenhormone: Was geb’ ich und wenn ja, wie viele?

Die alte Kontroverse über die richtige Therapie der benignen Hypothyreose geht in eine neue Runde. Clinician Scientist Dr. med. Viktoria Köhler fasste auf dem diesjährigen Internistenkongress den aktuellen Forschungsstand zusammen.1

Lesedauer: ca. 3 Minuten

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Dieser Artikel basiert auf dem Kongressbeitrag „Aktuelle Aspekte zur Schilddrüsenhormonsubstitution“ auf dem DGIM-Kongress 2021. Redaktion: Dr. med. Laura Cabrera.

Stolperfallen bei der latenten Hypothyreose

Ob man eine subklinische Hypothyreose, also ein erhöhtes TSH bei normwertigen T3- und T4-Werten, behandelt, liegt im Ermessen des Arztes. Um die richtige Diagnose zu stellen, sollte man beachten, dass der TSH-Spiegel natürlichen Schwankungen unterliegt. Der Tiefpunkt liegt am frühen Nachmittag, der Gipfel ist gegen Mitternacht erreicht, sodass der Zeitpunkt der Blutabnahme bei der Beurteilung eine Rolle spielt.

Unter 10 mlU/L erst mal abwarten

Eine Studie aus dem Jahr 2007 zeigte an 350.000 Patienten, dass sich bei

  • 60% der Patienten, die bei der 1. Messung ein TSH zwischen 5,5 und 10 mlU/L hatten und
  • 25 % der Patienten, die bei der 1. Messung ein TSH über 10 mlU/L hatten,

nach drei Monaten der TSH-Wert wieder normalisiert hatte. Unter Berücksichtigung des individuellen Falls kann es also durchaus gerechtfertigt sein, bei einem TSH-Wert unter 10 mlU/L abzuwarten und eine erneute Verlaufskontrolle in 2-3 Monaten anzusetzen.

Das Alter spielt eine Rolle

Mit steigendem Alter sinken die TSH-Normwerte. In niederländischen Beobachtungsstudien lebten ältere Senioren (> 85 Jahren), die physiologisch einen eher niedrigen TSH-Wert aufwiesen, sogar länger. Im Umkehrschluss sollte man daher bei sehr alten Patienten sorgfältig hinterfragen, ob eine subklinische Hypothyreose wirklich ausgeglichen werden muss.

Bei diesen Krankheiten und Medikamenten muss die Dosis steigen

Entscheidet man sich für eine Substitution oder liegt eine Indikation vor, so liegt bei einem ansonsten gesunden Erwachsenen die übliche Erhaltungsdosis bei 1,5  µg/kg Körpergewicht. Einen Überblick über Zieldosen nach Alter und Begleitfaktoren verschafft der Artikel von Gärtner und Reincke aus der Zeitschrift „Der Internist“.2

Gewisse Medikamente und Erkrankungen verlangen nach einer Dosisanpassung. Krankheiten, die die intestinale T4-Resorption hemmen, sind

  • die Atrophische Gastritis,
  • ein Malabsorptions-Syndrom sowie
  • Helicobacter-pylori-Infektionen.

Den gleichen Effekt haben Arzneistoffe wie

  • Antazida,
  • Eisensulfat,
  • Multivitaminpäparate,
  • Protonenpumpeninhibitoren.

Weitere Medikamente, die den T4-Bedarf erhöhen, sind

  • Androgene und Östrogene,
  • Carbamazepin,
  • Sertralin,
  • Rifampicin,
  • und diverse onkologische Therapeutika.

Einen detaillierteren Überblick gibt der Artikel von Köhler et al., ebenfall in „Der Internist“.3

Ist TSH der richtige Verlaufsmarker?

Bei benignen Thyreopathien (d.h. keine sekundäre Hypothyreose, keine periphere Hormonresistenz) orientiert man sich zur Therapiekontrolle am TSH-Spiegel. Dieser sollte bei adäquater Dosierung zwischen 0,4-4,0 mU/L liegen. Ob der Wert in dieser Spanne eher höher oder eher tiefer liegt, ist laut der Datenlage nicht relevant. Für Schwangere existieren Referenzwerte entsprechend des Trimesters.

Eine Studie aus dem vergangenen Jahr stellte fest, dass der fT4-Wert besser mit klinischen Symptomen (z.B. Vorhofflimmern, Osteoporose etc.) korrelierte als der TSH-Wert. Allerdings reichen die Daten noch nicht aus, um den aktuellen Goldstandard zu ändern.

Welchen Sinn machen Kombinationspräparate?

Die Monotherapie mit L-Thyroxin (T4) fußt auf der Annahme, dass der aktive Metabolit T3 in den Organen durch Dejodinasen zur Verfügung gestellt wird. Polymorphismen bei diesen Enzymen als auch bei den Hormontransportern hebeln diesen Mechanismus aus.

Außerdem vermutet man, dass die Monotherapie mit T4 zu einer Hemmung der D2-Dejodinase-Aktivität führt (also weniger Umwandlung von T4 zu T3 in den Organen), während der TSH-Wert normwertig bleibt. Dies würde erklären, warum manche Patienten trotz „guter“ Einstellung weiterhin Symptome haben.

Leider ist die Datenlage zur Kombinationstherapie mau – und stammt aus „unkontrollierten, kleinen oder schlecht dokumentierten Studien“, so Köhler. Zwar bevorzugen Patienten subjektiv die Kombinationspräparate, die Gründe dafür sind jedoch nicht objektivierbar. Zudem entsprechen die erhältlichen Kombinationspräparate nicht dem natürlichen Verhältnis von T4 zu T3 (14:1).

Langzeitdaten für die Kombination gibt es kaum. Eine schottische Studie fand 2016 zwar kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, dafür aber eine Korrelation mit Mammakarzinomen sowie antidepressiver und antipsychotischer Medikation.

Wie sollte man eine Kombinationstherapie durchführen?

Entscheidet man sich nun bei einem Patienten individuell für eine Kombinationstherapie, so geben die europäischen Leitlinien mehrere Algorithmen, mit denen die richtigen Dosierungen berechnet werden können.5 Als Beispiel:

x= T4-Dosis, die ein normwertiges TSH erzeugt (alte T4-Dosis)
y= x/20= T3-Dosis
z= x-3y = neue T4-Dosis für die Kombinationstherapie

T4 wird 1x/Tag, T3 2x/Tag gegeben, die niedrigere Dosis morgens, die höhere abends. Als Überprüfung der Therapie sollte man etwa drei Stunden nach der Einnahme den fT3- Wert sowie das TSH bestimmt – allerdings ist diese Art des Monitorings schlecht untersucht. Langfristig sollte man regelmäßig EKGs schreiben und bei postmenopausalen Frauen alle drei Jahre eine Knochendichtemessung durchführen.

Cave: Eine Kombinationstherapie darf bei Schwangeren wegen unklarer Risiken für das ungeborene Kind nicht durchgeführt werden!

Quellen
  1. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 2021, Vortrag: „Schilddrüsenhormonsubstitution – wann, wie viel und womit?
  2. R. Gärtner, M. Reincke: Substitution von Schilddrüsenhormonen. Der Internist, Ausgabe 5/2008.
  3. V. Koehler et al.: Hypothyreose – wann und wie behandeln? Der Internist, Ausgabe 7/2018.
  4. Jonklaas et al. (2021): Evidence-Based Use of Levothyroxine/Liothyronine Combinations in Treating Hypothyroidism: A Consensus Document. Eur Thyroid J 2021;10:10–38
  5. Wiersinga W.M. et al. (2012): 2012 ETA Guidelines: The Use of L-T4 + L-T3 in the Treatment of Hypothyroidism. Eur Thyroid J 2012;1:55-71.

Titelbild: © Getty Images/Iryna Zastrozhnova

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