Anwesenheit von Angehörigen bei der Reanimation – Contra
Im zweiten Teil der Pro-und-Contra-Sitzung legt Prof. Dr. Martin Möckel dar, weshalb er der Position von Prof. Hartog Stellung widerspricht und anwesende Familienangehörige während der Reanimation kategorisch ablehnt.
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Der folgende Beitrag basiert auf zwei Vorträgen zum Thema „Anwesenheit von Angehörigen bei der Reanimation“ auf dem 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. | Redaktion: Dr. Nina Mörsch
Prof. Dr. Martin Möckel, Ärztlicher Leiter der Notfall- und Akutmedizin, Zentrale Notaufnahmen und Chest Pain Units Campus Charité Mitte und Campus Virchow-Klinikum in Berlin, nimmt direkt Stellung zu den Argumenten seiner Vorrednerin: „Laut Prof. Hartog sollten Angehörige bei der Reanimation zugelassen werden, sofern es eine strukturierte Begleitung gibt. Aber genau da liegt ja das Problem. Die habe ich ja gar nicht, weil ich ja die Reanimation nicht plane“, so sein erstes Gegenargument.
Entsprechend würde man Angehörige auch nicht extra kontaktieren, um sie zu einer Reanimation dazu zu holen.
Woher kommt überhaupt der Gedanke, dass Patienten anwesend sein sollten?
Hierzu zitiert der Referent Zohar Lederman, einen israelischen Notfallmediziner und Bioethiker an der Universität Hongkong, der die „relationale Autonomie“ als Grundlage für die Angehörigenpräsenz sieht: Demnach gehe es gar nicht um die Frage, ob diese richtig oder falsch ist. Vielmehr hätten Patienten und deren Angehörige ein ethisch moralisches Recht darauf, bei der Reanimation zugegen zu sein, so Ledermans Argument. Dieses Recht dürfe nicht paternalistisch verwehrt werden.
„Doch mit dem Gedanken, dass es ein Recht ist, gebe ich auch die Verantwortung dafür ab, was nachher mit den Angehörigen passiert, “ stellt Möckel fest und hinterfragt, ob man eine solche Haltung einnehmen dürfe.
Wichtiger sei aus seiner Sicht zu klären, wem die Anwesenheit nütze und wem sie schade, denn sie „schadet den Helfenden und führt entgegen der Aussage von Prof. Hartog durchaus zu Stress".
Zwar könnte sie Patienten nutzen, etwa weil man sich „vielleicht mehr anstrengt, wenn die Angehörigen dabei sind.“ Auf der anderen Seite könne sie ihnen aber auch schaden, wenn sie Helfende nervös macht und diese eher Fehler begehen.
Die von Hartog zitierten Studienergebnisse von Labre et al, wonach Angehörige, die die Reanimation miterlebt haben, weniger posttraumatische Belastungsstörungen aufweisen, stellt er hingegen aufgrund der geringen Patientenzahl methodisch infrage.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Angehörige hätten häufig eine falsche Vorstellung von der Reanimation, erläutert der Arzt. Sie gingen von einer kontrollierten und nach einem festen Schema ablaufenden Situation aus - also eine Konstellation, wie man sie am ehesten im klinischen Setting findet.
Doch die Realität etwa im Rettungsdienst ist oft eine andere, weiß Prof. Möckel. Im Notarztwagen müssten Arzt und Rettungsassistent häufig selbst die Kommunikation mit Familienangehörigen übernehmen. „Das heißt, man ist schnell in einer herausfordernden Situation und die ist im besten Fall unter Kontrolle, aber eben nicht immer“.
Keine Reanimation ist planbar
Schwierig wird es besonders, wenn extreme Maßnahmen eingeleitet werden. Der Notarzt erzählt von einem Patienten, der kürzlich mit einem stumpfen Thoraxtrauma unter Reanimation in den Schockraum eingeliefert wurde. Da eine geringe Überlebenschance bestand, fiel die Entscheidung für eine offene Herzdruckmassage - ein eher experimentelles Vorgehen. „Und wenn sie jetzt Angehörige danebenstehen haben, würden sie das machen? Oder würden Sie sagen, wir müssen mal den Thorax aufreißen?“, fragt der Referent. Die Gefahr in einem solchen Fall bestünde genau darin, dass man im Beisein von Angehörigen nicht mehr völlig frei und im Sinne des Patienten entscheidet, sondern eventuell Maßnahmen unterlässt, die für dessen Überleben notwendig sind.
Stressbelastung im Team: Wie ist die Studienlage?
Eine Arbeitsgruppe um Stephan Marsch, Intensivmediziner am Universitätsspital Basel, hat untersucht, wie sich unterschiedliche Verhaltensweisen von Angehörigen auf das Stressempfinden der Retter und die Qualität der Wiederbelebung auswirken.2
Hierfür wurden Teams (n=366) von drei bis vier Ärztinnen bzw. Ärzten (n=1229) zufällig ausgewählt. Diese sollten in einer simulierten Situation mit Anwesenheit
- von keinen Angehörigen (Kontrollgruppe),
- einem zurückgezogenen Angehörigen oder
- einem aufgeregten Angehörigen
eine kardiopulmonale Reanimation durchführen. Schauspieler spielten die Rollen der Angehörigen nach einem festen Skript. Die Szenarien wurden auf Video aufgezeichnet.
Das Ergebnis: Die Anwesenheit der Angehörigen hatte keinen (bzw. nur einen geringfügig negativen Einfluss bei aufgeregten Angehörigen) auf die Qualität der Reanimation. Allerdings nahm die Betreuung der Familienmitglieder etwa ein Viertel der Gesamtzeit der Reanimation in Anspruch und erhöhte so die Frustration sowie die zeitliche und mentale Beanspruchung des helfenden Teams.
„Das heißt also, das Team ist signifikant belastet und das kann man schon in einer solchen noch relativ kontrollierten Simulationsstudie zeigen“, interpretiert Prof. Möckel die Ergebnisse. Dabei laufe in der Realität längst nicht alles so glatt, wie in diesem kontrollierten Setting, gibt er zu bedenken.
Zudem sei in einer hinzugerufenen Notfallsituation nicht immer zu erkennen, wer von den mitunter zahlreichen anwesenden Personen tatsächlich zu den Angehörigen gehört. Noch schwieriger gestalte sich die Situation bei Sprachbarrieren, also wenn eine Kommunikation mit Angehörigen und so eine entsprechende Betreuung gar nicht möglich sind.
Die relationale Autonomie stellt in dieser konkreten medizinischen Ausnahmesituation ein realitätsfernes, unpassendes Konstrukt dar, so der Referent, denn:
- Den Helfenden schadet es eher
- Den Patientinnen und Patienten schadet es bestenfalls nicht
- Den Angehörigen könnte es schaden oder nützen und widerspricht damit dem ärztlichen Grundsatz „do not harm“.