
Notfälle im Flugverkehr vermeiden
Um Notfällen im Flugzeug vorzubeugen, ist insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit Vorerkrankungen eine gute Aufklärung und Reiseplanung hilfreich. Der Flugmediziner Dr. med Roland Nowak gibt Tipps und Denkanstöße für einen komplikationsfreien Flug.
Lesedauer: ca. 7 Minuten

Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag von Dr. Roland Nowak, Internist, Arbeits- und Flugmediziner, Frankfurt am Main, auf dem 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. | Autor: Marc Fröhling
Grundvoraussetzungen für einen guten Flugverlauf
„Es gibt nicht, was es nicht gibt – allerdings gilt auch: häufig ist häufig“: Langes Sitzen, nach dem Essen, möglicherweise in Kombination mit Alkoholgenuss, die im Urlaub durchgestandene Magen-Darm-Entzündung mit Flüssigkeitsverlust: Nach Dr. Roland Nowak handelt es sich bei 85% aller Notfälle an Bord eines Flugzeugs um einen Kreislaufkollaps. Nowak weist zudem auf zwei wichtige Begebenheiten hin: In der Flugkabine wird während des Fluges ein Kabinendruck erzeugt, wie er in 2200 m über dem Meeresspiegel herrscht. Zudem ist die Luftfeuchtigkeit an Bord nur sehr gering. (ca. 10 %). Für gesunde Menschen ist die geringere Sauerstoffsättigung unproblematisch: mit Einschränkungen ist erst ab einem Sauerstoffpartialdruck von < 60 mmHg zu rechnen, so Nowak.
Relevante Kofaktoren, die das persönliche Befinden beeinträchtigen können:
- Hämoglobingehalt
- Kardiale Funktion
- Bestehender Infekt
- Trockene Kabinenluft
- Mehrbedarf bei Schwangerschaft
Nowak führt zudem die Grundvoraussetzungen auf, die für jeden Flug von allen Reisenden beachtet werden sollten: Passagiere an Bord eines Flugzeuges sollten nicht unter ansteckenden Krankheiten oder Fieber leiden, der Reiseverlauf sollte unkompliziert sein und in der Kabine sollte – insbesondere bei Start und Landung – eine sichere Position eingenommen werden. Die Verrichtung persönlicher Bedürfnisse (z.B. Toilettengang) und das Betreten und Verlassen der Flugzeugkabine muss durch die Reisenden selbst gewährleistet sein. Sind Einschränkungen bekannt, leisten Fluggesellschaften bei Bedarf Hilfestellung.
Vorerkrankungen: Was ist vor dem Abflug zu beachten?
Atemwegserkrankungen: Wird bei Patientinnen und Patienten, die unter Herz- oder Lungenerkrankungen leiden und einen Flug antreten wollen, ein Sauerstoffpartialdruck von idealerweise > 70 mmHg erreicht, sind keine Komplikationen zu erwarten. Es wird in diesem Fall auch kein zusätzlicher Sauerstoff in der Kabine benötigt. Weitere Ratschläge an Betroffene sind eine hohe Flüssigkeitszufuhr zur Schleimlösung sowie eine großzügige Anwendung von Schleimlösern. Alle notwenigen Medikamente sollten im Handgepäck mitgeführt werden. Außerdem sollte bei Flugantritt kein fortwährender Hustendrang bestehen (Antitussiva bereithalten).
Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Neben dem Sauerstoffpartialdruck (> 70 mmHg) sollte bei Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein NYHA-Stadium II-III die Grenze für die Mitnahme an Bord sein. Eine Angina pectoris muss medikamentös stabilisiert sein. Das Vorliegen eines cyanotischen Herzfehlers ist nicht zwingend ein Ausschlusskriterium für einen Flug, jedoch rät Nowak dazu, im Vorfeld Rücksprache mit der Fluggesellschaft zu halten und die Reise sorgsam zu planen (Bereitstellung von Sauerstoff, qualifizierte Reisebegleitung), um Komplikationen zu vermeiden. Die Karenzzeiten nach Interventionen am Herzen sind laut Nowak inzwischen recht kurz geworden. Binnen weniger Tage ist es in der Regel möglich, nach Eingriffen am Herzen per Flugzeug aus dem Urlaub zurückzukehren. Einen Überblick über die Karenzzeiten verschafft Tabelle 1:
Myokardinfarkt | ca. 8-10 Tage |
Angioplastie | ca. 3 Tage |
Angiografie (unkomplizierter Verlauf) | mind. 24 Stunden |
Herzoperationen | ca. 8-10 Tage (mit ärztl. Begleitung) |
Schrittmacherimplantation | mind. 2 Tage |
Ablation | mind. 2, besser 5-7 Tage |
Thromboembolische Erkrankungen: Häufige Fragen betreffen die Phlebothrombose. Hier sollte keine pulmonale Beeinträchtigung bestehen, eine Antikoagulation sollte bereits eingeleitet sein. Nach einer Lungenembolie sollte der Thrombus unter Antikoagulation möglichst gelöst sein, denn mit Absinken des Sauerstoffpartialdruckes wird die Belastung des rechten Herzens im Allgemeinen erhöht. Ist die pulmonale Ausflussbahn dann behindert, kann es rasch zu einem gesteigerten Druck im rechten Ventrikel kommen, was in der Folge zu einem irreversiblen Herzstillstand führen kann.
Dialyse: Dialysepatientinnen und -patienten, die verreisen (z.B. in eine Feriendialyse), sollten die Flugreise an einem dialysefreien Tag antreten. Dort sind die Kreislaufverhältnisse stabiler. Am Flughafen sollten weite Wege vermieden werden (z.B. Rollstuhlservice am Flughafen anfordern). Das letzte Dialysegewicht vor dem Flug ist zur Sicherheit 1 kg niedriger zu fahren als üblich. Eine Anmeldung bei der Fluggesellschaft empfiehlt Nowak bei der Peritonealdialyse: Übergepäck kann in einem solchen Fall als medizinisches Gepäck kostenfrei mitgenommen werden. Ist eine Feriendialyse geplant, sollten alle benötigten Papiere und Impfdokumente im Handgepäck bereitgehalten werden.
Anämie: Bei Patientinnen und Patienten mit Anämie sollte der Hämoglobinwert für einen sicheren Transport laut Faustregel 9 g/dl betragen. Bereits ab 8 g/dl ist die Sauerstofftransportkapazität deutlich eingeschränkt. Allerdings bemerkt Nowak, dass dies im Flugzeug selbst kein großes Problem darstellte, da sich die Betroffenen im Flugzeug in einer sitzenden Position befänden. Viel eher könnten hier Probleme bei erhöhtem Sauerstoffbedarf unter Bewegung entstehen, etwa noch am Flughafen.
Operationen im Bauchraum: Hierbei ist zu bedenken, dass sich das gefangene Gasvolumen in Reiseflughöhe um 30 % ausdehnt. Mögliche Komplikationen während des Fluges können daher Schmerzen im Operationsbereich, Nahtdehiszenz oder postoperatives Fieber sein. Für einen sicheren Flug sollte daher nach einer Bauchoperation mindestens eine Woche gewartet werden.
Pneumothorax: Laut Nowak ist der Pneumothorax zwar gefürchtet, in der Presse aber auch häufig überbewertet. Früher galt die Regel, dass nach einem Pneumothorax vier bis sechs Wochen nicht geflogen werden sollte – eine Katastrophe für Betroffene, wenn während eines Auslandaufenthaltes ein Unfall erlitten wurde und die Heimreise nicht angetreten werden konnte. Dies werde laut Nowak heutzutage deutlich entspannter geregelt, insbesondere durch die US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen: Ist die Lunge entfaltet, ist nicht zu erwarten, dass durch die Druckänderung etwas geschieht, gibt Nowak als Faustregel an. Bis zum Erreichen der Reiseflughöhe bei Langstreckenflügen (ca. 10-15 min) würde so viel Ein- und Ausgeatmet, dass keine akute Druckerhöhung auf der Lunge zu erwarten sei. Im Zweifel sollte sich auch hier mit der Fluggesellschaft abgestimmt werden.
Frakturen: Ist es im Urlaub zu einer Fraktur gekommen, stellt sich häufig die Frage nach dem Transport zurück in die Heimat. Der Transport ist dabei abhängig vom Versorgungsgrad und dem Schmerzzustand der betroffenen Person. Außerdem sind Fragen nach der möglichen einnehmbaren Sitzposition in der Kabine sowie die Reisedauer zu beachten. In seltenen Fällen, etwa bei Wirbelsäulenverletzungen, kann ein Stretcher-Transport nötig sein. Außerdem sollte hierbei die neurologische Situation im Blick behalten werden. Befindet sich nach einer Knie-OP das Kniegelenk in einer Schale, kann es hilfreich sein einen zweiten Sitz zu buchen, da es häufig nicht möglich ist eine normale Sitzposition einzunehmen. Nach größeren Operationen (z.B. am Hüftgelenk) ist die postoperative Kontrolle des Hb-Wertes wichtig. Erfolgt der Flug in den ersten zwei bis drei Tagen nach Anlegen eines Gipsverbandes, sollte dieser idealerweise gespalten sein, um einer Schwellung entgegenzuwirken.
HNO-Erkrankungen: Flugreisende mit HNO-Erkrankungen sollten immer dazu in der Lage sein, einen Druckausgleich in den Nebenhöhlen zu machen. Außerdem sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Als Vorbereitung für den Rückflug können abschwellende Nasentropfen verabreicht werden, auch in Kombination mit NSAR oder ggf. Cortison gemäß Facharztempfehlung. Gegen die trockene Luft an Bord kann ein Anfeuchten der Atemwege mit Pantenolsalbe hilfreich sein. Im Notfall, so Nowak, sind die genannten Medikamente auch Teil der Bordmedikation. Nach operativen Eingriffen besteht eine Karenzzeit von ungefähr 10 Tagen, da es zu einem Zuschwellen der Nebenhöhlen oder zu Nachblutungen kommen kann.
Neurologische Erkrankungen: Um keine Komplikationen währendes des Transportes zu erleiden, sollte nach Ereignissen mit Minderdurchblutung vor einem Flug mindestens fünf Tage mit Stabilität verstrichen sein – dabei handelt es sich um den Zeitraum, in dem die intrazerebrale Schwellung zurückgeht. Einen Überblick verschafft Tabelle 2:
Transitorisch ischämische Attacke | Karenzzeit 5 Tage; Begleitperson erforderlich |
Manifester Schlaganfall | Karenzzeit mind. 5 Tage; radiol. keine Anzeichen auf Hirnschwellung, supplementäre O²-Gabe bis 14 Tage nach Ereignis angeraten, Arztbegleitung nach Ausmaß der Behinderung |
Gehirnchirurgischer Eingriff | Karenzzeit mind. 10 Tage; Lufteinschlüsse sollten resorbiert und Krampfneigung sachkundig beherrscht sein. Zumeist Arztbegleitung und supplementäre O²-Gabe erforderlich. |
Liegt bei einem Krampfleiden das letzte Ereignis mehr als ein halbes Jahr zurück, sollte vor Flugantritt eine Beratung bezüglich Reisestress, Zeitzonenflügen, Schlafdefizit und Medikationsschema durchgeführt werden. Liegt das letzte Ereignis weniger als ein halbes Jahr zurück, sollte abgeklärt werden, ob eine durchgängige Medikation sinnvoll ist. Eine Mitnahme der Medikamente in die Kabine sollte abgeklärt und ein medizinisches Bulletin griffbereit sein. Langstreckenflüge sollten nur mit einer krankheitserfahrenen Begleitperson angetreten werden. Allgemein rät Nowak hier zu einer vorherigen Rücksprache mit der Airline. Bei häufig rezidivierenden Krampfereignissen ist eine ärztliche Begleitung erforderlich.
Psychiatrische Erkrankungen: Um einen sicheren Ablauf des Fluges zu gewährleisten, sollte jede Art von Psychose stabil und ruhig sein. Bei längeren Flügen fordern Fluggesellschaften in der Regel eine qualifizierte Begleitung.
Schwangerschaft: Bei einem komplikationslosen Schwangerschaftsverlauf sind Flüge bis Ende der 36. Schwangerschaftswoche (SSW) möglich – aber SSW 28 ist der Fluggesellschaft eine gynäkologische Bescheinigung vorzulegen. Mehr Zurückhaltung herrscht bei Mehrlingsschwangerschaften: hier sind Flüge bis zum Ende der SSW 28 möglich, generell ist hier eine gynäkologische Bescheinigung vorzulegen. Bei komplizierten Schwangerschaften (z.B. Blutungen, Portioinsuffizienz) sind Fluge bis zur SSW 24 nach Rücksprache mit der Fluggesellschaft möglich.