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Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin

23. Apr. 2023
Sexuell übertragbare Erkrankungen

HIV: Diese Hinweise sollten Ärztinnen und Ärzte kennen

Eine HIV-Infektion ist heute gut behandelbar und führt bei rechtzeitigem Therapiebeginn zu einer nahezu normalen Lebenserwartung. Doch viele Betroffene erhalten ihre Diagnose zu spät, weshalb der Kampf gegen HIV stockt. Bei welchen Indikatoren Ärzte ihren Patienten zu einem HIV-Test raten sollten, erläuterte der Infektiologe Prof. Dr. Jürgen Rockstroh auf dem diesjährigen Internistenkongress.

Lesedauer: ca. 6 Minuten

HIV
Vielen Betroffenen ist nicht bewusst, dass sie sich mit HIV infiziert haben könnten. Umso wichtiger ist es, bei Verdacht auf die Testmöglichkeiten hinzuweisen. (Foto: DR P. MARAZZI / Science Source )

Der folgende Beitrag basiert auf dem Vortrag „HIV: Wann sollte man daran denken?“ von Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Leiter der Ambulanz für Infektiologie und Immunologie am Universitätsklinikum Bonn, auf dem  129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. | Redaktion: Dr. Nina Mörsch

Weltweit leben nach Angaben der WHO etwa 38 Millionen Menschen mit HIV (Stand: 2020). Zudem gibt es 1,5 Millionen Neuinfektionen und 650.000 sterben nach wie vor an AIDS. „Wir sind also weit von den Zielen entfernt, die wir uns gesteckt haben“ , erklärt Prof. Rockstroh auf dem Internistenkongress.

Im Gegensatz zu einer Krebsdiagnose oder bei Bluthochdruck sei eine HIV-Infektion auch heute noch mit Stigmatisierung und Emotionen verbunden. Und das, obwohl dank antiviraler Medikamente, Menschen mit HIV heute sehr lange mit dem Virus leben können.

Situation in Deutschland besser als im globalen Schnitt

Hierzulande ist es Daten des Robert-Koch-Instituts zufolge in den letzten Jahren indes zu einem zwar geringen, aber dennoch erkennbaren Abfall der HIV-Neudiagnosen gekommen.

Nach wie vor stellen Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), die größte betroffene Gruppe dar. Allerdings ist unter ihnen auch der größte Rückgang an Neuinfektionen zu verzeichnen – ein positives Zeichen dafür, was mit Prävention zu erreichen ist, so der Referent.

Mit der Präexpositionsprophylaxe, deren Kosten seit 2019 für Personen mit einem substantiellen HIV-Infektionsrisiko von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, steht ein zusätzliches Instrument zur Verhinderung einer Ansteckung zur Verfügung, erklärt Prof. Rockstroh. Menschen, denen man eine solche Behandlung anbietet, ließen sich leichter testen, was wiederum zu einer Abnahme von Neuinfektionen führe. Andere Gruppen, wie z.B. heterosexuelle Personen, seien hingegen schwieriger zu erreichen. Für sie hätten die Präventionsmaßnahmen häufig nicht die gleiche Wertigkeit. Und bei Drogengebrauchern stünden meist andere Probleme im Vordergrund.

U=U: Wichtigste Botschaft für Menschen mit HIV

Eine Befreiung für HIV-infizierte Personen ist aus Sicht des Referenten sicherlich die sogenannte U=U-Botschaft (Undetectable Equals Untransmittable): Diese besagt, dass eine HIV-Übertragung nicht stattfindet, wenn die Viruslast infolge einer antiretroviralen Therapie unter der Nachweisgrenze liegt.

„Dies sagt uns aber auch, dass wir damit ja im Grunde genommen das Werkzeug haben, die HIV-Epidemie zu beenden“, konstatiert der Arzt.

Kampf gegen HIV weltweit ins Stocken geraten

Umso wichtiger sei es, eine HIV-Infektion frühzeitig zu erkennen, um mit der Behandlung weitere Ansteckung zu verhindern. Doch der Kampf gegen HIV und AIDS ist angesichts der Corona-Pandemie und anderer Krisen ins Stocken geraten. Diese hätten „eine extrem veränderte Bereitstellung sowohl von Medikamenten als auch den Testangeboten“ sowie zu politischen Veränderungen und damit verbundenen Konsequenzen zur Folge gehabt:

„Schlechte Zeiten führen ja immer zu extremen politischen Meinungen. Und das führt natürlich auch zu den Veränderungen der Akzeptanz und der gesellschaftlichen Integration von vielen Menschen“, verdeutlicht der Referent. Damit verbunden seien auch die Diskriminierung von Drogengebrauchern und das „leidige Problem der Bereitstellung von Spritzen und Substitionsprogrammen“.

Dies führe dazu, dass viele Menschen erst sehr spät ihre HIV-Infektion diagnostiziert bekämen. „Da gibt es eine gängige Konsensusdefinition, die sagt, wer mit den CD4-Helferzellen unter 350 ist, also schon eine manifeste zelluläre Immunschwäche hat, der ist zu spät oder sie ist dann zu spät diagnostiziert worden“, erläutert Prof. Rockstock. Dies umfasse immerhin fast die Hälfte aller europäischen Menschen mit HIV.

Fehlendes Bewusstsein für Ansteckungsrisiko bei älteren Menschen

Besonders problematisch sei auch das fehlende Bewusstsein bestimmter Gruppen für das eigene Ansteckungsrisiko. Insbesondere ältere, noch sexuell aktive Menschen würden - im Gegensatz zu MSM - mögliche Übertragungswege des Virus oder auch Präventionsmaßnahmen zu wenig kennen bzw. das eigene Risiko nicht wahrnehmen.

Wie erreicht man vulnerable Gruppen?

Das Ziel, HIV zu kontrollieren, setzt voraus, dass alle HIV-positiven Personen in Therapie sind – doch Menschen bei dieser immer noch schamhaft besetzen Infektion zum Testen zu bewegen, bleibt schwierig. Aus diesem Grund bedürfe es Testzentren ohne „moralischen Überbau“, mit einer Atmosphäre der nicht vorhandenen Diskriminierung und einem offenen Dialog mit Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, kultureller Vorstellungen und Religionen, betont Rockstroh. Aus eigener Erfahrung mit Einrichtungen in Köln weiß er auch, dass andere Gruppen, wie Frauen oder Migranten, die derzeitigen Zentren häufig als primäre Anlaufstelle für MSM wahrnehmen würden – was die Hemmschwelle, sich dort vorzustellen, zusätzlich erhöhe.

Die häufigsten Übertragungswege: Sex nach wie vor prädominant

• Wichtigster Übertragungsweg: Sexueller Kontakt
• Drogengebrauch (v.a. in Osteuropa): Gemeinsamer Gebrauch von Spritzenutensilien
• Perinatale Transmission: Übertragung von HIV-infizierter Mutter auf das Neugeborene

Labordiagnostik: Positive Befunde unbedingt verifizieren!

Die Labordiagnostik umfasst

  1. einen Suchtest (Screeningtest), bevorzugt mit einem ELISA-Test der 4. Generation und
  2. einen Bestätigungstest mit einem alternativen Testformat (Immunoblot, NAT), mit dem ein reaktives Ergebnis unbedingt verifiziert werden muss, um falsch-positive Befunde auszuschließen. (s. Abb. 1)
HIV-Screening
Abbildung 1. NAT=Nukleinsäure-Amplifikations-Test (nach Prof. Dr. Jürgen Rockstroh)
HIV-Screening
Abbildung 1. NAT=Nukleinsäure-Amplifikations-Test (nach Prof. Dr. Jürgen Rockstroh)

Wichtig: HIV-Test unmittelbar nach Exposition nicht aussagekräftig!

Der Ausschluss der HIV-Infektion mittels HIV-Test der 4. Generation sollte 6 Wochen nach Exposition erfolgen. Ein negatives Testergebnis ist nur ausreichend sicher, wenn innerhalb des diagnostischen Fensters keine erneute Exposition stattgefunden hat.

Hinweise für die Praxis – Rechtliche Situation

Obwohl eine HIV-Infektion heute sehr gut beherrschbar ist, behält der HIV-Test nach wie vor eine rechtliche Sonderstellung. So muss ein Patient der Testung explizit zustimmen: Ein Test gegen seinen Willen gilt als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Einem beauftragenden Arzt könnten dann juristische Konsequenzen drohen. Die Einverständniserklärung muss jedoch nicht schriftlich erfolgen, die Einwilligung sollte jedoch dokumentiert werden. Bei unmündigen Personen müssen Sorgeberechtigte zustimmen.

Wann an HIV denken?

Die akute HIV-Infektion kann, muss aber nicht symptomatisch sein. Die Inkubationszeit beträgt einige Tage bis zu wenigen Wochen. Bei folgenden Symptomen sollte an die Möglichkeit einer HIV-Infektion gedacht werden:

  • Fieber
  • orale Ulzerationen
  • Lymphadenopathien
  • Kopf- und Gliederschmerzen
  • Pharyngitis
  • Abgeschlagenheit

Fragen Sie nach der Sexualanamnese!

Was in der Praxis häufig nicht gemacht werden würde und auch im Medizinstudium keinen großen Platz finde, sei die Sexualanamnese, bemängelt der Vortragende. Doch insbesondere bei Hinweisen auf andere sexuell übertragbare Erkrankungen sollten Ärztinnen und Ärzte an einen HIV-Test denken. Dies gelte etwa bei Lues, Gonorrhö, neu aufgetretenem Herpes genitalis oder Warzen im Anogenitalbereich.

Neben den STIs gibt es aber eine Reihe weiterer Indikatordiagnosen, bei denen ebenfalls eine HIV-Infektion abgeklärt werden sollte – auch wenn diese Erkrankungen, die u.a. auf eine Störung der zellulären Immunabwehr hinweisen, unabhängig einer HIV-Infektion auftreten können. Zu diesen zählen:

• Thrombopenie
• Bazilläre Angiomatose
• Mundsoor
• Orale Haarleukoplakie
• Seborrhoisches Exanthem
• Herpes Zoster
• Vulvovaginale Candidose
• Zervikale Dysplasien oder Carcinoma in situ
• Periphere Neuropathie
• Malignes Lymphom

„Alle Werkzeuge für die Beendigung von HIV und AIDS sind vorhanden"

In den vergangenen Jahren sind die Behandlungsmöglichkeiten einer HIV-Infektion viel einfacher, wirksamer und deutlich verträglicher geworden. Auch gibt es im unwahrscheinlichen Fall eines virologischen Versagens kaum mehr ein Risiko für eine Resistenzentwicklung. Die Lebenserwartung von HIV-Infizierten entspricht heute fast der Lebenserwartung der Allgemeinbevölkerung. „Alle Werkzeuge für die Beendigung von HIV und AIDS sind vorhanden“, resümiert Rockstroh am Ende seines Vortrags. Man müsse sie eben einfach nur wahrnehmen.

Weitere Beiträge zum diesjährigen Internistenkongress finden Sie hier im Infocenter der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin.

Quellen anzeigen
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