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Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin

13. Juli 2023
Kommentar

ePA: „Kompliziert, abgehoben und wenig funktional“

Mit nur einem Prozent freiwilliger Teilnehmer ist die elektronische Patientenakte (ePA) eigentlich gescheitert. Statt deren Akzeptanz zu verbessern, soll die ePA nun – als politische Zangengeburt – kurzerhand zur Pflicht werden.

Lesedauer: ca. 4 Minuten

elektronische Patientenakte ePA
Statt deren Akzeptanz zu verbessern, soll die ePA – als politische Zangengeburt – zur Pflicht werden. (Foto: picture alliance / CHROMORANGE | Christian Ohde)

Quelle: DGIMTalk zur elektronischen Patientenakte (ePA) am 3. Juli 2023. Autor: Dr. med. Horst Gross | Redaktion: Marina Urbanietz

Opt-Out-Regelung

Die jetzige Lösung sei kompliziert, realitätsfremd, abgehoben und wenig funktional, meint Dr. Sibylle Steiner, Mitglied im Vorstand der Kassenärztliche Bundesvereinigung beim DGIMTalk zur elektronischen Patientenakte (ePA) am 3. Juli 2023. Trotzdem soll das Projekt auf keinen Fall scheitern, so der politische Wille. Der geplante Gesetzentwurf sieht vor, dass jeder gesetzlich Versicherte seine elektronische Gesundheitsakte automatisch bekommt. Seine Zustimmung ist nicht mehr notwendig. Jeder Arzt ist dann verpflichtet, Befunde, Arztbriefe, Laborwerte und Medikationspläne in die ePA einzustellen. Wer keine ePA möchte, muss aktiv widersprechen (Opt-out). Und dafür gibt es durchaus triftige Gründe. Etwa, weil die persönlichen Daten ungefragt auch der kommerziellen Forschung zur Verfügung gestellt werden.

Lebensretter ePA

Notfallmediziner wie Professor Dr. Harald Dormann (Ärztlicher Leiter Zentrale Notaufnahme am Klinikum Fürth) begrüßen die ePA trotzdem. Ihre Daten können im Ernstfall Leben retten. Denn irgendwann soll es in der ePA auch einen Notfalldatensatz geben, der die wichtigsten Krankheiten und Medikationspläne zusammenfasst.  Es sei zu hoffen, dass die  Medikamentenpläne dann tatsächlich  aktuell sind. Welche Probleme sich sonst ergeben, erläutert Dormann an einem Beispiel.

Problem Aktualisierung

Ein Patient mit Hirnblutung ist laut Medikamentenplan in der ePA auf ein Antikoagulans eingestellt. Der Notarzt verabreicht das Antidot, um die Blutung zu stoppen. Tatsächlich hat der Hausarzt aber nur vergessen, einzutragen, dass der Gerinnungshemmer längst abgesetzt ist. Das sinnlose Antidot verursacht deshalb massive Thromboembolien. Problematisch sei auch, so Dormann, dass rezeptfreie Medikamente (OTC) in den Medikationsplänen nicht berücksichtigt werden.

Fehlende Suchfunktion

Wer sich schnell aus der ePA informieren will, stößt auf eine weitere Hürde. Die Dokumente liegen vorerst nur als PDF vor. Diese sind zwar einzeln durchsuchbar, aber der gesamte Korpus der Befunde und Arztbriefe kann nicht elektronisch recherchiert werden. Das wäre aber gerade bei multimorbiden Patienten mit einer umfangreichen Krankengeschichte hilfreich. So kann es passieren, dass der behandelnde Arzt eine wichtige Diagnose, die nur einmal in einem Arztbrief erwähnt wird, glatt übersieht.

Optimistische Krankenkasse

Man ginge zwar mit einem unfertigen Produkt an den Start, will die Probleme aber im Laufe der Zeit beheben. Die Barmer Ersatzkasse zeigt sich deshalb optimistisch und stellt ihren Versicherten eine bereits verbesserte Version, die eCARE®, zur Verfügung. Im eCare-Projekt können die Patienten unter anderem ihre Medikationspläne selbst aktualisieren, berichtet Michael Hübner, Bereichsleiter „Ambulante Versorgung und Innovation“ der BARMER. Die größte Hürde für die Nutzer kann aber auch die BARMER nicht aus dem Weg räumen: Den komplizierten Autorisierungsprozess, um die eigene ePA zu verwalten. Nur so können Nutzer festlegen, welcher Arzt welche Daten sehen darf.

Komplizierte Anmeldung

Mindestens eine doppelte Authentifizierung ist erforderlich. Die beste Lösung ist der Personalausweis mit Online-Funktion. Dazu ist allerdings ein spezielles Kartenlesegerät erforderlich. Gerade für ältere, wenig technikaffine Menschen ist der Autorisierungsprozess deshalb eine Zumutung. Theoretisch könnten Angehörige helfen. Doch nicht jeder möchte seinen Anverwandten alle seine medizinischen Probleme offenbaren. Da bleibt nur der Hausarzt als Ausweg. Doch der wird für seine Assistenz bei der Einrichtung der ePA nicht vergütet.

Fehlende Software

Auch für die Kliniken stellt die ePA eine enorme Herausforderung dar. Die Berliner Charité hat sich beispielhaft mit dem Problem der Patientenakte auseinandergesetzt und versucht, das System möglichst optimal in die eigene Klinik-EDV zu integrieren. Dabei stellt sich heraus, so Dr. Peter Gocke, Chief Digital Officer (CDO) und Leiter Stabsstelle „Digitale Transformation“, Charité Berlin, dass dies mit den vorhandenen EDV-Mitteln nicht möglich ist. Das Krankenhaussystem KISS und das Archivsystem verfügen nicht über die erforderlichen Verbindungsstrukturen, sogenannte Konnektoren. Daher wurden an der Charité Inhouse-Lösungen entwickelt. Für die Abrufung, Befüllung und Archivierung der elektronischen Patientenakte sind Algorithmen erforderlich, die speziell geschultes Personal erfordern. Kleinere Kliniken werden dies nicht unbedingt sofort leisten können, meint Gocke.

Ehrgeizige Vorgaben

Die ePA in ihrer jetzigen Form wird auch den Hausärzten große Probleme bereiten, meint Sibylle Steiner (KV-Bund). Denn die Integration in die Praxissoftware ist technisch noch nicht gelöst. Trotz dieser massiven Schwierigkeiten hat sich die Bundesregierung ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Schon 2025 sollen mindestens 80 Prozent der Versicherten in das ePA-System eingebunden sein.1 Und paradoxerweise könnte dies gelingen, denn trotz aller Mängel erfolgt die Einführung der elektronischen Patientenakte automatisch.

Offene Fragen

Wer nicht aktiv widerspricht, nimmt teil. Die ePA läuft dann vollautomatisch im Hintergrund, auch wenn sich die Betroffenen nicht dafür interessieren. Hört man den Experten zu, beschleicht allerdings einen ein mulmiges Gefühl. Zu oft ist von „müsste noch“ und „sollte unbedingt“ die Rede und von Dingen, die „in der Roadmap“ sind. Dabei weiß doch jeder, dass bei derart komplexen Systemen mit unkalkulierbaren Startschwierigkeiten zu rechnen ist. Spätestens ab 2025 müssen Kliniken, Praxen und Patienten sich also auf einiges gefasst machen, falls das Gesetz durchkommt.

Quellen anzeigen
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