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Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin

03. Mai 2022
Internistenkongress 2022

Datenschutz in Deutschland gefährdet Menschenleben

Digital und smart: So soll das Gesundheitssystem der Zukunft aussehen. Doch noch haben die Praxen und Kliniken hierzulande viel Luft nach oben. Als Grund identifiziert Prof. Dr. Markus Lerch, Kongresspräsident des 128. Internistenkongresses, den streng regulierenden Datenschutz in Deutschland. Das führt zu der alarmierenden Situation, dass mitunter buchstäblich Menschenleben gefährdet werden.

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Der folgende Beitrag basiert auf dem Vortrag von Prof. Dr. Markus Lerch, Vorsitzender der DGIM im Rahmen der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) vom 02. Mai 2021. Redaktion: Sebastian Schmidt 

Datenschutz und Datensparsamkeit im deutschen Gesundheitswesen blockieren die Zusammenarbeit über Stations- und Organisationsgrenzen hinaus. Mittlerweile so massiv, dass das Wohl der Patientinnen und Patienten gefährdet ist. In anderen Ländern läuft das besser, wie DGIM Kongress-Präsident Professor Dr. med. Markus M. Lerch, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender am LMU Klinikum München im Rahmen einer Pressekonferenz ausführte und mahnte dringenden Handlungsbedarf an.

„Auf der rechtlichen Ebene ist eine der dringlichsten Baustellen unser Umgang mit Daten und mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Gesundheitswesen – eine Verordnung, die zwar europaweit gilt, jedoch vor allem in Deutschland in einer Art und Weise ausgelegt wird, die mitunter Leib und Leben von Patientinnen und Patienten gefährdet“, sagt Professor Lerch. „Denn anstatt Patientendaten vor Missbrauch zu schützen, verhindern wir tatsächlich den Zugang und die Nutzung der Daten.“

Dies führe teils zu absurden Situationen und gefährde im äußersten Fall sogar Menschenleben. „Der Datenschutz kann etwa dazu führen, dass ein Arzt in der Notaufnahme aufgrund einer technischen Zugriffsblockade nicht die Behandlung desselben Patienten durch den Facharzt einsehen kann, da der Notfallmediziner nicht an der ursprünglichen Behandlung beteiligt war.“ Statt auf Zugriffsblockaden zu setzen, müsse, wie in anderen Ländern, stattdessen der Zugriff dokumentiert und – im Falle eines Missbrauchs – bestraft werden, so Lerch.

Corona-Pandemie macht die Probleme sichtbar

Ganz deutlich war der Bremsklotz Datenschutz auch in der Corona-Pandemie. Die wichtigsten Forschungsergebnisse, beispielsweise zur Diagnostik und Behandlung von Covid-19 kamen, so Professor Lerch, nicht aus Deutschland. Die Corona-App, sei technisch exzellent umgesetzt. Jedoch konnte sie aus Gründen des Datenschutzes kein Gamechanger in der Pandemie werden. Obwohl die App über 45 Millionen mal heruntergeladen worden sei, habe sie überhaupt keinen Unterschied gemacht. Dass die Tests nicht direkt nach positivem Laborbefund in die App eingespeist werden konnten und Erkrankte wegen des rigiden Datenschutzes nicht korrekt erfasst wurden, sind für ihn zwei Beispiele für sein Argument.

Datensparsamkeit in der Medizin hemmen Heilungschancen

Ein anderer Datenschutz-Grundsatz ist die sogenannte Datensparsamkeit. Damit ist das Erfragen und Dokumentieren nur der unmittelbar notwendigen personenbezogenen Daten und Informationen gemeint. „Dies mag sinnvoll sein, um die Sammelwut von Internetkonzernen einzudämmen – völlig kontraproduktiv aber ist dieser Grundsatz, wenn es um klinische Daten einzelner Patientinnen und Patienten oder um medizinische Daten aus klinischen Studien geht, bei Krankheitsregistern oder bei populationsbasierten epidemiologischen Untersuchungen“, so Lerch.

„Je umfassender die eingeschlossenen Daten sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, bisher unbekannte Zusammenhänge aufzudecken: zwischen Medikamenten und ihren Nebenwirkungen oder unerwarteten Gesundheitseffekten, zwischen Laborparametern, Biomarkern oder Umwelteinflüssen und der Entstehung von Krankheiten.“

Seine Forderung daher: Anonymisierte Daten müssten in anonymisierte Register eingegeben werden können, auch ohne individuelle Zustimmung. „Wir wollen das als Ärztinnen und Ärzte für unsere Patienten und als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um die Diagnostik verbessern zu können“, so Lerch.

Ungeheuerliche Verschwendung von Ressourcen

Dass bei von Steuergeldern finanzierten Studien teils Daten nicht mehr für andere als die ursprünglichen Fragestellungen ausgewertet werden dürften, oder sogar nach einer Frist vernichtet werden müssten, sei eine ungeheuerliche Verschwendung wissenschaftlicher, menschlicher und wirtschaftlicher Ressourcen, so der DGIM-Vorsitzende. Als Beispiel nannte er die größte weltweite Pandemie von Trichinose (Schweinebandwurm) 1982 in Bitburg in der Eifel. Dort haben die Medizinerinnen und Mediziner Erfahrungen gesammelt, welche Therapien wirken und welche nicht, welche Behandlungen wann sinnvoll sind. Auch wann Muskeln am besten biopsiert werden müssten und woran die Patientinnen und Patienten letztlich verstarben ist dokumentiert. Aber, so der Kongresspräsident: „Nach der neuen DSGVO hätten alle diese Daten 1997 vernichtet werden müssen.” Diesbezügliche Anpassungen seien hochdringlich.

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