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Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin

26. Apr. 2023

Chronisch kritische Extremitätenischämie diagnostizieren

Chronisch kritische Gliedmaßen-bedrohende Ischämien sind zwar selten, erfordern aber eine schnelle korrekte Diagnose und Behandlung. Wie diese erfolgen kann, fasst Prof. Christine Espinola-Klein (Mainz) zusammen.

Lesedauer: ca. 5 Minuten

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Bei chronischen Gliedmaßen-bedrohenden Ischämien ist eine richtige Diagnose essenziell. Symbolbild (© Getty Images/mr.suphachai praserdumrongchai)

Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Prof. Dr. Christine Espinola-Klein (Mainz) „Epidemiologie und Diagnostik“ auf dem DGIM 2023. | Autorin: Dr. Linda Fischer

Weniger als 10 % der Patientinnen und Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) haben auch eine chronische Gliedmaßen-bedrohende Ischämie (CLTI). Eine CLTI ist oft infrainguinal und 1/3 betreffen nur Unterschenkelarterien1. Die Datenlage zur CLTI ist aus verschiedensten Gründen schwierig, konstatiert Prof. Dr. Christine Espinola-Klein, Fachärztin für Innere Medizin, Angiologie, Kardiologie und Hämostaseologie und Direktorin der Kardiologie III - Angiologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Inzidenz höher bei älteren Menschen und bei Männern

Die wenigen vorliegenden Daten zeigen eine CLTI-Prävalenz (Fontaine III–IV, Knöcheldruck < 70 mmHg, Knöchel-Arm-Index ABI < 0,6) von 0,75 % (95 % Konfidenzintervall KI 0,26–1,46) bzw. rund 800 pro 100.000 Personen (95 %-KI 300–1400).2 Die Inzidenz liegt im fortgeschrittenen Lebensalter (> 65 Jahre) höher, mit etwa 150 pro 100.000 pro Jahr. Frauen sind seltener betroffen als Männer (s. grafischen Abstract in Mentias et al3).

3-Stufendiagnostik der PAVK

Wie Ärztinnen und Ärzte bei der Diagnostik vorgehen, fasst die Fachärztin in 3 Punkten zusammen:

  1. Basisdiagnostik: Anamnese, klinische Untersuchung, ABI
  2. angiologische Funktionsdiagnostik: Dopplersonografie, Oszillografie, transkutaner O2-Partialdruck (Bestätigung der Diagnose)
  3. morphologische Diagnostik: Duplexsonografie, radiologische Bildgebung (Therapieplanung)

Basisdiagnostik: Wunden inspizieren, ABI erfassen

  • Anamnese (klinische Symptome, Risikofaktoren, Komorbidität)
  • Inspektion (Wunden, Hautkolorid)
  • Pulsstatus, Auskultation
  • Lagerungsprobe
  • ABI, Zehendruck (TBI)

Differenzialdiagnose der Wunden: Wo sind welche Gefäße beteiligt?

Bei Wunden sind verschiedene Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen (Tab. 1). Mischbilder sind häufig, wenn z. B. ein venöses Ulcus nicht abheilt, da unter der Kompression bei einer inzwischen sich entwickelnden PAVK zusätzlich ein Durchblutungsproblem vorliegt, erklärt Espinola-Klein. Auch beim diabetischen Fußsyndrom handele es sich häufig um ein Mischbild zwischen arterieller und neuropathischer Beteiligung.

venösarteriellneuropathischdruck-assoziiert
UrsacheKrampfadern, frühere tiefe Venen-Thrombosen, Fettleibigkeit, Schwangerschaft, wiederkehrende Venen-EntzündungenDiabetes, Hypertonie, Rauchen, frühere Gefäß-ErkrankungDiabetes, Trauma, lang anhaltender Druckeingeschränkte Mobilität
LokalisationBereich zwischen unterer Wade und InnenknöchelZehen und Füße, Außenknöchel und Schienbeinplantarer Bereich des Fußes, Zehenspitze, seitlich des 5. Mittelfuß-Knochenstief, oft mazeriert
BehandlungKompression, Hochlagerung der Beine, chirurgische BehandlungRevaskularisierung, Thrombozyten-Aggregations-Hemmer, Behandlung von RisikofaktorenDruck-Entlastung, topische WachstumsfaktorenDruck-Entlastung, angemessene Ernährung
Tab. 1: Bewertung und Behandlung von Geschwüren der unteren Extremitäten, adaptiert von Singer et al.4

In jedem Fall gelte es, herauszuarbeiten, an welcher Stelle welche Gefäße beteiligt sind, um dann revaskularisieren und ein Abheilen der Wunde erwirken zu können, betont Espinola-Klein.

ABI: Je niedriger, desto schwerer die PAVK

Der Knöcheldruck wird wie der Blutdruck gemessen, weiß die Fachärztin. Es sei darauf zu achten, die Manschette möglichst distal anzulegen. Gemessen wird der ABI über den niedrigsten systolischen Blutdruck am Knöchel, dividiert durch den mittleren systolischen Armblutdruck. Je niedriger der ABI ausfällt, desto höher der PAVK-Schweregrad (Tab. 2).5

ABISchweregrad
> 1,4falsch hoch, v.a. bei Mediasklerose
0,9–1,3Normalbefund
0,75–0,9leichte PAVK
0,5–0,75mittelschwere PAVK
< 0,5schwere PAVK
Tab. 2: Diagnostik der PAVK nach S3-Leitlinie

In bestimmten Situationen ist die Messung nicht sinnvoll durchführbar, z. B. wenn eine Mediasklerose vorliegt – häufig bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes. Eine Alternative zur ABI-Messung kann der Zehendruck sein.

Angiologische Funktionsdiagnostik: Funktionsmessungen und WIFi-Score

Wird in der Basisdiagnostik eine Durchblutungsstörung festgestellt, erfolgen weitere angiologische Funktionsmessungen, um herauszufinden, wie der Befund kompensiert ist und wie die Durchblutung verbessert werden kann, damit die Wunde heilt.

Die Cw-Dopplersonografie ist Mediasklerose-unabhängig und erlaubt eine Einschätzung des vorgeschalteten Gefäßsegments: Während sich im Normalbefund eine triphasische Kurve zeigt, ist in einem poststenotischen Befund die Amplitude vermindert und der diastolische Rückstrom fehlt. Im postokklusiven Befund zeigt sich dann u. a. eine Signalverbreiterung und auch ein fehlender diastolischer Rückstrom.

Eine weitere Mediasklerose-unabhängige Messung ist die segmentale Oszillografie: Hier werden besondere Blutdruckmanschetten angelegt, die die Pulsation eines Gefäßsegmentes unmittelbar unter der Manschette erfassen.

Eine weitere Messung, die aber Fehlerquellen birgt, ist die transkutane O2-Partialdruckmessung. Sie ist Geräte-abhängig, betont Espinola-Klein. Gemessen werde in Läsionsnähe, im Liegen und im Sitzen (Orthostase). Ungefähre Kriterien für eine kritische Ischämie seien liegend < 20 mmHg und sitzend < 40 mmHg. Fehlerquellen umfassen Ödeme, Verhornungen, Vaskulitiden und chronisch venöse Insuffizienz.  

WIFi-Score

Liegt schließlich eine Kombination aus ABI oder TBI, Messungen der Wundsituation und der transkutanen O2-Partialdruckmessung vor, ist der WIFi-Score (W=Wunde, I=Ischämie, Fi=Fußinfektion) etabliert, konstatiert Espinola-Klein. Er korreliere sehr gut mit dem Risiko einer Amputation.

Die Ausprägung der Wunde (Score 0–3), ABI oder TBI (Score 0–3) und die Fußinfektion (Score 0–3) werden erfasst. Je höher die Punktzahl liegt, desto höher ist das Risiko für eine Majoramputation, erklärt Espinola-Klein ganz grob. Zu beachten seien hierbei Fehlerquellen der verschiedenen Messmethoden (Tab. 3). Die Fachärztin empfiehlt immer eine Kombination der Verfahren.

UntersuchungsmethodeVorteileNachteile
ABIScreeningverfahren, schnell, kostengünstig, einfachFehlerquelle Mediasklerose, alternativ Zehendruck messen
Cw-DopplersonografieEtagenlokalisation hämodynamisch relevanter Strombahnhindernisse unabhängig von MediaskleroseSensitivität bei Beckengefäßen geringer, keine Darstellung der Anatomie, bei vorgeschalteten Stenosen sind nachgeschaltete Gefäße nur eingeschränkt beurteilbar
OszillografieEtagenlokalisation hämodynamisch relevanter Strombahnhindernisse unabhängig von Mediasklerosesemiquantitatives Verfahren, limitiert bei schweren Ödemen und großflächigen Ulzerationen
transkutaner O2-PartialdruckPrognoseparameter zur Abheilungstendenz von Läsionen, geeignet zur Verlaufsbeurteilungintaktes Hautsegment notwendig, multiple Fehlerquellen (Ödeme, chronisch venöse Insuffizienz, Vaskulitiden, Dermatosklerosen)

Morphologische Diagnostik: Duplexsonografie, MRA, CTA

Kommen Patientinnen und Patienten mit CLTI für eine Revaskularisierung infrage, erfolt eine weitere Diagnostik, bei der die Duplexsonografie eine zentrale Rolle spielt.8 Sie ist einfach bettseitig durchführbar, weiß Espinola-Klein. Wird weitere Bildgebung benötigt, stehen Magnetresonanz-Angiografie (MRA) und computertomografische Angiografie (CTA) zur Verfügung.

Neue Methoden der Perfusionsmessung: TOPP und Fluoreszenz

Mittlerweile gibt es auch neuere Methoden, die untersucht werden, wie etwa den Tissue optical perfusion pressure (TOPP)9 und die Fluoreszenzbildgebung10.  Künftig wird es also weitere Methoden geben, die gerade bei der Untersuchung von Menschen mit Diabetes helfen können, hofft Espinola-Klein.

Quellen anzeigen
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