
Chronisch kritische Extremitätenischämie diagnostizieren
Chronisch kritische Gliedmaßen-bedrohende Ischämien sind zwar selten, erfordern aber eine schnelle korrekte Diagnose und Behandlung. Wie diese erfolgen kann, fasst Prof. Christine Espinola-Klein (Mainz) zusammen.
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Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Prof. Dr. Christine Espinola-Klein (Mainz) „Epidemiologie und Diagnostik“ auf dem DGIM 2023. | Autorin: Dr. Linda Fischer
Weniger als 10 % der Patientinnen und Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) haben auch eine chronische Gliedmaßen-bedrohende Ischämie (CLTI). Eine CLTI ist oft infrainguinal und 1/3 betreffen nur Unterschenkelarterien1. Die Datenlage zur CLTI ist aus verschiedensten Gründen schwierig, konstatiert Prof. Dr. Christine Espinola-Klein, Fachärztin für Innere Medizin, Angiologie, Kardiologie und Hämostaseologie und Direktorin der Kardiologie III - Angiologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Inzidenz höher bei älteren Menschen und bei Männern
Die wenigen vorliegenden Daten zeigen eine CLTI-Prävalenz (Fontaine III–IV, Knöcheldruck < 70 mmHg, Knöchel-Arm-Index ABI < 0,6) von 0,75 % (95 % Konfidenzintervall KI 0,26–1,46) bzw. rund 800 pro 100.000 Personen (95 %-KI 300–1400).2 Die Inzidenz liegt im fortgeschrittenen Lebensalter (> 65 Jahre) höher, mit etwa 150 pro 100.000 pro Jahr. Frauen sind seltener betroffen als Männer (s. grafischen Abstract in Mentias et al3).
3-Stufendiagnostik der PAVK
Wie Ärztinnen und Ärzte bei der Diagnostik vorgehen, fasst die Fachärztin in 3 Punkten zusammen:
- Basisdiagnostik: Anamnese, klinische Untersuchung, ABI
- angiologische Funktionsdiagnostik: Dopplersonografie, Oszillografie, transkutaner O2-Partialdruck (Bestätigung der Diagnose)
- morphologische Diagnostik: Duplexsonografie, radiologische Bildgebung (Therapieplanung)
Basisdiagnostik: Wunden inspizieren, ABI erfassen
- Anamnese (klinische Symptome, Risikofaktoren, Komorbidität)
- Inspektion (Wunden, Hautkolorid)
- Pulsstatus, Auskultation
- Lagerungsprobe
- ABI, Zehendruck (TBI)
Differenzialdiagnose der Wunden: Wo sind welche Gefäße beteiligt?
Bei Wunden sind verschiedene Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen (Tab. 1). Mischbilder sind häufig, wenn z. B. ein venöses Ulcus nicht abheilt, da unter der Kompression bei einer inzwischen sich entwickelnden PAVK zusätzlich ein Durchblutungsproblem vorliegt, erklärt Espinola-Klein. Auch beim diabetischen Fußsyndrom handele es sich häufig um ein Mischbild zwischen arterieller und neuropathischer Beteiligung.
venös | arteriell | neuropathisch | druck-assoziiert | |
---|---|---|---|---|
Ursache | Krampfadern, frühere tiefe Venen-Thrombosen, Fettleibigkeit, Schwangerschaft, wiederkehrende Venen-Entzündungen | Diabetes, Hypertonie, Rauchen, frühere Gefäß-Erkrankung | Diabetes, Trauma, lang anhaltender Druck | eingeschränkte Mobilität |
Lokalisation | Bereich zwischen unterer Wade und Innenknöchel | Zehen und Füße, Außenknöchel und Schienbein | plantarer Bereich des Fußes, Zehenspitze, seitlich des 5. Mittelfuß-Knochens | tief, oft mazeriert |
Behandlung | Kompression, Hochlagerung der Beine, chirurgische Behandlung | Revaskularisierung, Thrombozyten-Aggregations-Hemmer, Behandlung von Risikofaktoren | Druck-Entlastung, topische Wachstumsfaktoren | Druck-Entlastung, angemessene Ernährung |
In jedem Fall gelte es, herauszuarbeiten, an welcher Stelle welche Gefäße beteiligt sind, um dann revaskularisieren und ein Abheilen der Wunde erwirken zu können, betont Espinola-Klein.
ABI: Je niedriger, desto schwerer die PAVK
Der Knöcheldruck wird wie der Blutdruck gemessen, weiß die Fachärztin. Es sei darauf zu achten, die Manschette möglichst distal anzulegen. Gemessen wird der ABI über den niedrigsten systolischen Blutdruck am Knöchel, dividiert durch den mittleren systolischen Armblutdruck. Je niedriger der ABI ausfällt, desto höher der PAVK-Schweregrad (Tab. 2).5
ABI | Schweregrad |
---|---|
> 1,4 | falsch hoch, v.a. bei Mediasklerose |
0,9–1,3 | Normalbefund |
0,75–0,9 | leichte PAVK |
0,5–0,75 | mittelschwere PAVK |
< 0,5 | schwere PAVK |
In bestimmten Situationen ist die Messung nicht sinnvoll durchführbar, z. B. wenn eine Mediasklerose vorliegt – häufig bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes. Eine Alternative zur ABI-Messung kann der Zehendruck sein.
Angiologische Funktionsdiagnostik: Funktionsmessungen und WIFi-Score
Wird in der Basisdiagnostik eine Durchblutungsstörung festgestellt, erfolgen weitere angiologische Funktionsmessungen, um herauszufinden, wie der Befund kompensiert ist und wie die Durchblutung verbessert werden kann, damit die Wunde heilt.
Die Cw-Dopplersonografie ist Mediasklerose-unabhängig und erlaubt eine Einschätzung des vorgeschalteten Gefäßsegments: Während sich im Normalbefund eine triphasische Kurve zeigt, ist in einem poststenotischen Befund die Amplitude vermindert und der diastolische Rückstrom fehlt. Im postokklusiven Befund zeigt sich dann u. a. eine Signalverbreiterung und auch ein fehlender diastolischer Rückstrom.
Eine weitere Mediasklerose-unabhängige Messung ist die segmentale Oszillografie: Hier werden besondere Blutdruckmanschetten angelegt, die die Pulsation eines Gefäßsegmentes unmittelbar unter der Manschette erfassen.
Eine weitere Messung, die aber Fehlerquellen birgt, ist die transkutane O2-Partialdruckmessung. Sie ist Geräte-abhängig, betont Espinola-Klein. Gemessen werde in Läsionsnähe, im Liegen und im Sitzen (Orthostase). Ungefähre Kriterien für eine kritische Ischämie seien liegend < 20 mmHg und sitzend < 40 mmHg. Fehlerquellen umfassen Ödeme, Verhornungen, Vaskulitiden und chronisch venöse Insuffizienz.
WIFi-Score
Liegt schließlich eine Kombination aus ABI oder TBI, Messungen der Wundsituation und der transkutanen O2-Partialdruckmessung vor, ist der WIFi-Score (W=Wunde, I=Ischämie, Fi=Fußinfektion) etabliert, konstatiert Espinola-Klein. Er korreliere sehr gut mit dem Risiko einer Amputation.
Die Ausprägung der Wunde (Score 0–3), ABI oder TBI (Score 0–3) und die Fußinfektion (Score 0–3) werden erfasst. Je höher die Punktzahl liegt, desto höher ist das Risiko für eine Majoramputation, erklärt Espinola-Klein ganz grob. Zu beachten seien hierbei Fehlerquellen der verschiedenen Messmethoden (Tab. 3). Die Fachärztin empfiehlt immer eine Kombination der Verfahren.
Untersuchungsmethode | Vorteile | Nachteile |
---|---|---|
ABI | Screeningverfahren, schnell, kostengünstig, einfach | Fehlerquelle Mediasklerose, alternativ Zehendruck messen |
Cw-Dopplersonografie | Etagenlokalisation hämodynamisch relevanter Strombahnhindernisse unabhängig von Mediasklerose | Sensitivität bei Beckengefäßen geringer, keine Darstellung der Anatomie, bei vorgeschalteten Stenosen sind nachgeschaltete Gefäße nur eingeschränkt beurteilbar |
Oszillografie | Etagenlokalisation hämodynamisch relevanter Strombahnhindernisse unabhängig von Mediasklerose | semiquantitatives Verfahren, limitiert bei schweren Ödemen und großflächigen Ulzerationen |
transkutaner O2-Partialdruck | Prognoseparameter zur Abheilungstendenz von Läsionen, geeignet zur Verlaufsbeurteilung | intaktes Hautsegment notwendig, multiple Fehlerquellen (Ödeme, chronisch venöse Insuffizienz, Vaskulitiden, Dermatosklerosen) |
Morphologische Diagnostik: Duplexsonografie, MRA, CTA
Kommen Patientinnen und Patienten mit CLTI für eine Revaskularisierung infrage, erfolt eine weitere Diagnostik, bei der die Duplexsonografie eine zentrale Rolle spielt.8 Sie ist einfach bettseitig durchführbar, weiß Espinola-Klein. Wird weitere Bildgebung benötigt, stehen Magnetresonanz-Angiografie (MRA) und computertomografische Angiografie (CTA) zur Verfügung.
Neue Methoden der Perfusionsmessung: TOPP und Fluoreszenz
Mittlerweile gibt es auch neuere Methoden, die untersucht werden, wie etwa den Tissue optical perfusion pressure (TOPP)9 und die Fluoreszenzbildgebung10. Künftig wird es also weitere Methoden geben, die gerade bei der Untersuchung von Menschen mit Diabetes helfen können, hofft Espinola-Klein.
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