Behandlungsfehler sind gemessen an der Zahl der Behandlungen selten, kommen aber vor. Deutlich häufiger ist bekanntlich der Vorwurf eines Behandlungsfehlers. Konkrete Zahlen liefert der
Medizinische Dienst. Seinen eigenen Angaben zufolge hat dieser 2023 insgesamt 12.438 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt.
In jedem 4. Fall hätten die Gutachter einen Behandlungsfehler festgestellt, durch den Patienten zu Schaden gekommen seien. In jedem 5. Fall sei der Fehler ursächlich für den Schaden gewesen. Es handele sich dabei grundsätzlich um vermeidbare Schadensfälle. In 151 Fällen hätten zudem so genannte Never Events vorgelegen, also Ereignisse, die sicher hätten verhindert werden können. Darunter fallen folgenschwere Fehler wie Patienten-, Seiten- oder Medikamentenverwechslungen.
Nachfolgend Beispiele für Behandlungsfehler:
- Injektionen ohne Indikation
- Injektionen ohne Kontrolle des von Hilfskräften vorbereiteten Spritzeninhalts
- Unterlassener Hausbesuch bei Verdacht auf einen Gefäßverschluß
- Keine Rektoskopie bei langer Hämorrhoiden-Therapie
- Massive Überdosierungen von Medikamenten
- Fehlinterpretation eindeutiger Befunde
- Ignorieren von Warnhinweisen medizinischer Geräte.
Aus Fehlern kann gelernt werden
Getreu dem Motto, dass man aus Fehlern lernen könne, haben vor etwas mehr als 20 Jahren Ärzte vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt a.M. unter Leitung von Professor Ferdinand Gerlach ein internetbasiertes, anonymes
Fehlerberichts- und Lernsystem entwickelt, das darauf abzielt, Fehler zu vermeiden und die Patientensicherheit zu erhöhen.
Grundgedanke ist, dass freiwillig berichtete Fehler systematisch analysiert und ausgewertet werden, um dadurch Erkenntnisse über Fehlerarten, Fehlerhäufigkeiten und vor allem über ihre Ursachen zu gewinnen. Aber trotz gewissenhafter Fehler-Prävention können Behandlungen misslingen. Bei komplexen Abläufen mit menschlicher Beteiligung wie in der Medizin treten fast zwangsläufig Fehler auf.
Diese sind in Relation zur Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte zwar sehr selten und seltener als Vorwürfe, einen Fehler gemacht zu haben. Doch für den Fall, dass von Patienten oder Kostenträgern Behandlungsfehler-Vorwürfe erhoben werden, sollten einige Punkte berücksichtigt werden, raten Professor Andreas Gross (Abteilung für Urologie, Asklepios Klinik Barmbek, Hamburg) und die Juristen Hendrik Schülke sowie Dr. Cornelia Süfke (Konzernbereich Recht, Versicherungen & Compliance, Asklepios Kliniken GmbH).
Empfehlungen zum Umgang mit Behandlungsfehler-Vorwürfen
Der Urologe und seine Mitautoren haben daher mehrere Handlungsempfehlungen formuliert, die dazu beitragen sollen, den üblichen Ablauf bei Erhebung von Vorwürfen eines Behandlungsfehlers positiv zu beeinflussen. Falls ein Schaden noch abgewendet oder in seinem Ausmaß reduziert werden könne, seien Sofortmaßnahmen (etwa eine Revisionsoperation) zu ergreifen.
Komme es zu einer Situation, in der ein eindeutig zuordenbarer und vermeidbarer Fehler passiert sei, bestehe zunächst die medizinische und juristische Pflicht, alles zu tun, um diesen Fehler nicht schlimmer zu machen, erklären Gross und seine Kollegen. „Wenn wir einer Zustandsverschlechterung nicht Einhalt gebieten, sind wir meiner Meinung nach mit Fug und Recht im strafrechtlichen Bereich“, betont auch Professor Dr. Reinhard Strametz. Deshalb sollte unmittelbar eine Akutbehandlung des betroffenen Patienten stattfinden, so der Leiter des Wiesbaden Institute for Healthcare Economics and Patient Safety vergangenes Jahr beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin.
Eine offene und ehrliche Kommunikation im Team gewährleiste, dass Folgen von Fehlverhalten nicht verschleppt und sich erst zu einem späteren Zeitpunkt offenbarten. So sollten berufsjüngere Kolleginnen und Kollegen in dem Fall, dass beispielsweise ein medizinischer Eingriff nicht geglückt sei oder Unsicherheit hinsichtlich der gestellten Diagnose bestehe, bestärkt werden, dies offen und transparent zu kommunizieren, raten Erstautor Schülke, Süfke und Gross.
Leitung muss offene Fehlerkultur fördern
Die Erfahrung zeige, dass das schnelle Einschreiten berufserfahrener Kollegen wesentlich dazu beitrage, das Schadenausmaß zu begrenzen. Dabei liege die Förderung einer offenen Fehlerkultur im Verantwortungsbereich der Leitung. Ein wichtiger Aspekt hierbei sei, dass die Mitarbeiter sich sicher fühlten, mögliche persönliche Unzulänglichkeiten und auch systemische Missstände offen anzusprechen. Unabhängig von der medizinischen Soforthilfe könnten auch solche Maßnahmen erwogen werden, die das Wohlbefinden der Patienten stärkten. So werde ein schadenbedingt verlängerter Krankenhausaufenthalt durch einen Aufenthalt in einem Ein- oder Zweitbettzimmer angenehmer.
Eine interne Aufarbeitung des Sachverhalts in Form einer sorgfältigen Rekonstruktion und Dokumentation des Behandlungsverlaufs sowie Klärung der Zuständigkeiten und internen Abläufe diene der Fehleranalyse und der Beweissicherung. Hierdurch werde einerseits im Falle eines Streits das Vorhandensein entlastender Nachweise und Dokumente sichergestellt, andererseits die Ursächlichkeit des Fehlverhaltens näher beleuchtet. Wichtig sei, zu ermitteln, ob das Fehlverhalten auf einem „Augenblicksversagen“ oder systematischen Fehlern beruhe. Die interne Aufarbeitung diene also nicht allein dem Wappnen vor Forderungsansprüchen, sondern ganz überwiegend auch der Vermeidung zukünftigen Fehlverhaltens.
Oft sei es die Ungewissheit, die zu Konflikten führe, erklären der Urologe Gross und die beiden Juristen. Eine transparente Erläuterung des Behandlungsverlaufs könne Abhilfe verschaffen und dazu beitragen, dass Patienten und Angehörige Verständnis für die Umstände aufbringen. Allerdings sei es wichtig darauf zu achten, dass ein solches Gespräch sowohl hinsichtlich der medizinischen Aspekte als auch im Hinblick auf eine möglicherweise konfliktträchtige Reaktion gut vorbereitet werde.
So sollte vor dem Gespräch feststehen, warum sich der Behandlungsverlauf negativ entwickelt habe. Bestehe hierüber Klarheit, gelte es dies den Patienten bzw. deren Angehörigen schonend zu vermitteln. Hierbei sei eine faktenbasierte und neutrale Schilderung der Umstände empfehlenswert. Hingegen sollte der Verlauf nicht unter dem Aspekt richtig oder fehlerhaft bewertet werden. Erst Recht sei es nicht zielführend und auch nicht erforderlich, in dieser Situation ein Schuldanerkenntnis zu erklären.
Zur Vermeidung von unterschiedlichen Aussagen und Auskünften sollte bestenfalls immer mit derselben Bezugsperson auf der Patientenseite gesprochen werden. Zudem sollten Patienten‑/Angehörigengespräch grundsätzlich in Anwesenheit von Zeugen geführt werden. Dies gelte insbesondere dann, wenn eine konfliktträchtige Atmosphäre zu befürchten sei. Der Gesprächsverlauf sollte protokolliert werden.
Umgang mit Angehörigen bei einem Todesfall
Eine besondere Herausforderung sei die Begleitung trauernder Angehöriger. Bei einem erwarteten Tod sei es sinnvoll, den Zeitpunkt zur Überbringung der Todesnachricht mit der primären Bezugsperson der Patientin/des Patienten zu besprechen. Eine empathische und möglichst zeitnahe Übermittlung der Todesnachricht sei anzustreben.
Sei eine sehr emotionale Trauerreaktion zu erwarten, biete sich die Bereitstellung einer psychologischen oder seelsorgerischen Begleitung an. Im Falle eines unerwarteten Todes in einem Mehrbettzimmer sei die Aufbahrung in einem Einzelzimmer oder ggf. in einem Gedenkraum sinnvoll. Spirituelle und religiöse Rituale der Angehörigen seien ernst zu nehmen und sollten ermöglicht werden. Handele es sich um eine natürliche Todesart, seien Zugänge und ableitende Systeme nach Absprache mit dem ärztlichen Dienst zu entfernen, da gegebenenfalls noch eine forensische Untersuchung im Rahmen einer Obduktion ausstehe.
Darüber hinaus spiele die korrekte Ausstellung des Totenscheins eine gewichtige Rolle. Bei Verdacht auf eine nicht-natürliche Todesart seien etwaige Zugänge, Blasenkatheter an der Leiche zu belassen. Auch im Falle einer ungeklärten Todesart sollte vorab mit der Polizei besprochen werden, ob etwaige Zugänge oder Blasenkatheter entfernt werden dürfen.
Von zentraler Bedeutung: die Dokumentation der Behandlung
So früh wie möglich sei die Behandlungsdokumentation auf Vollständigkeit und Plausibilität zu prüfen. Die Qualität der Dokumentation spiele bei Auseinandersetzungen mit der Patientenseite bekanntlich eine entscheidende Rolle. Wichtigstes Gebot sei die Dokumentation von tatsächlich durchgeführten Maßnahmen. Denn oft werde der Behandlungsverlauf erst Jahre später (bei einem Arzthaftungsprozess) im Detail überprüft. Hierbei könne jedes noch so kleine Detail (Wort, Buchstabe, Zeichen) entscheidend dafür sein, wer die Beweislast zu tragen habe - die Patientenseite oder die Behandelnden.Daher sei es überaus wichtig, frühestmöglich eine vollständige und belastbare Dokumentation zu verfassen.