Morgens in der Klinik, nachmittags zuhause – viele Ärztinnen und Ärzte können sich ihren Ruhestand durchaus so vorstellen. Das zeigte auch kürzlich eine
Umfrage des Ärzteblatts unter 5.000 Ärztinnen und Ärzten (⌀ 63 Jahre).
1 Rund drei Viertel der Befragten können sich vorstellen, bis zum 70. Lebensjahr oder darüber hinaus ärztlich tätig zu bleiben, fast jeder fünfte sogar bis zum 75. Lebensjahr oder länger. Allerdings nicht in Vollzeit: im Schnitt wünschen sich die Befragten ein Arbeitspensum von 16 Stunden pro Woche.
Ähnlich verhält es sich bei dem 66-jährigen Hausarzt Elmar Arens, den die Tagesschau kürzlich
porträtierte.
2 Nach 30 Jahren Praxis in Nordrhein-Westfalen hatte er sich mit seiner Frau an den Rand des Schwarzwalds zurückgezogen, um den Ruhestand zu genießen –allerdings gelang ihm das nicht recht. Neue Hobbys wie Gartenarbeit und Kochen füllten ihn nicht aus. Als sein Nachbar, ärztlicher Direktor eines Freiburger Krankenhauses, ihm vorschlug, an einem Modellprojekt teilzunehmen und einen Teilzeitjob in seiner Klinik anzunehmen, stimmte er bereitwillig zu.
Zurück auf Station heißt auch, wieder gebraucht zu werden
Seitdem ist Arens mit einer 40-Prozent-Stelle festes Mitglied des Teams auf der orthopädischen Station. Nach anfänglicher Skepsis schätzen seine Kollegen und Kolleginnen inzwischen seine internistische Expertise. An vier Stunden täglich übernimmt Arens internistische Routinearbeiten, die auf orthopädischen Stationen leicht untergehen. Er kontrolliert Blutdruck und Blutzucker, achtet auf mögliche Nebenwirkungen – insbesondere bei älteren, mehrfach vorerkrankten Patientinnen und Patienten – und kümmert sich um spontane Fragen aus dem Team wie „Könntest du dir bitte mal das geschwollene Bein anschauen?“. Was er besonders schätzt: In seiner Funktion kann er sich die Zeit nehmen, am Patientenbett zu sitzen und Fragen zu beantworten. Das gibt nicht nur den Patientinnen und Patienten Rückhalt. Auch das Klinikpersonal, dem dafür die nötige Zeit fehlt, wird dadurch entlastet.
Ruhestand: Eine Frage des richtigen Zeitpunkts
Mit seinem Drang, weiter ärztlich tätig zu sein, ist Elmar Arens nicht allein. Kürzlich wurde auf coliquio diskutiert, warum viele Ärztinnen und Ärzte den Eintritt in den Ruhestand noch etwas hinauszögern.
3 Ein wichtiger Aspekt, der mehrfach genannt wurde, ist das Bedürfnis, weiterhin von Patientinnen und Patienten gebraucht zu werden. Wenn von einem Tag auf den anderen die Situation eintritt, dass über Jahrzehnte erworbene Wissen nicht mehr zum Einsatz kommen kann, ist dies eine enorme Umstellung.
Während sich die einen auf die Zeit ohne berufliche Verpflichtungen freuen, entscheiden sich andere dafür, den Beruf weiter auszuüben, solange sie gesund und fachlich dazu in der Lage sind. Fehlen äußere Faktoren, die für den Renteneintritt sprechen, wird es zur individuellen Aushandlungssache, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Ein Kollege aus den USA beschrieb seinen inneren Konflikt in einem
Kommentar auf Medscape.com lakonisch mit den Worten:
4Weiterarbeiten? Ja, aber zu meinen Bedingungen
Dass die ärztliche Tätigkeit auch Schattenseiten hat, die den Spaß an der Arbeit trüben, ist unbestritten. Das kam sowohl in den Stimmen auf coliquio und Medscape, also auch in der Umfrage des Ärzteblatts zur Sprache. Die überbordende Bürokratie war in der Befragung der am häufigsten genannte Grund (73 Prozent), aus dem Berufsleben auszuscheiden.
Ob im Rentenalter weiter praktiziert wird, ist für viele Ärztinnen und Ärzte daher an Bedingungen geknüpft. Drei Faktoren sind der Umfrage zufolge entscheidend: Eine freie Zeiteinteilung (87 bis 90 Prozent Zustimmung), weniger Bürokratie (81 Prozent Zustimmung) und finanzielle Anreize (76 Prozent Zustimmung). Die goldene Mitte zwischen Weitermachen und Aufhören liegt für viele in einer sorgfältig dosierten Teilzeittätigkeit, die es ermöglicht, sich gegen Ende des Berufslebens noch einmal voll und ganz auf die Medizin zu konzentrieren. Das spiegelt sich auch in den Kommentaren auf coliquio:3
Neben den positiven Begegnungen und dem Gefühl, gebraucht zu werden, gibt eine Teilzeittätigkeit auch einen gewissen Wochenrhythmus vor. Ein coliquio-Mitglied aus der Psychologischen Psychotherapie berichtet, vielfach davon zu profitieren: „Mir macht die Arbeit nach wie vor sehr viel Freude. Sie strukturiert meinen Tag und die Woche, tut mir physisch und psychisch gut und die kognitive Leistungsfähigkeit bleibt auch erhalten.“
Oder hat das Leben mehr zu bieten?
Gleichzeitig eröffnet der Ruhestand ganz neue Horizonte, wenn die neue Lebensphase bewusst ohne berufliche Verpflichtungen gestaltet wird. Insbesondere der Wunsch, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können, spielt eine große Rolle. 70 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte nannten dies als ausschlaggebenden Grund, die ärztliche Tätigkeit ganz niederzulegen. Ein coliquio-Mitglied aus der Kardiologie regt dazu an, sich auf die neue Situation einzulassen: „Das Leben bietet weitaus mehr als nur Patienten zu behandeln.“
Ähnlich sehen es einige US-amerikanische Kolleginnen und Kollegen, die sich auf Medscape.com zum Thema äußerten.4Auch hier wurde die große Ambivalenz – das Für und Wider zwischen Ruhestand und Weiterarbeiten – deutlich. Manche hadern damit, noch länger Teil eines zunehmend kränkelnden Systems zu sein, andere haben die Sorge, mit zunehmendem Alter Fehler zu machen, und wieder andere haben Ehrfurcht davor, ihren Ruhestand mit neuen, sinnstiftenden Tätigkeiten zu füllen.
Ein allgemeingültiges „Richtig“ oder „Falsch“ gibt es nicht. Für einige bedeutet der Abschied aus der Medizin einen befreienden Neuanfang – zugleich ist die Fortführung der ärztlichen Tätigkeit für viele mit großer Dankbarkeit verbunden und mit dem Wissen, dass nichts ewig währt. Zwischen vielen Kommentaren fiel der Spruch „Always best to leave the party while you're still having fun“ („Es ist immer am besten, die Party zu verlassen, solange man noch Spaß hat“).4 Spätestens wenn die Freude an der Arbeit schwindet, ist der Moment gekommen, sich anderen Schauplätzen des Lebens zuzuwenden.