Die weit verbreitete Unzufriedenheit und das hohe Burnout-Risiko unter Ärztinnen und Ärzten sind längst bekannt. Doch statt zu resignieren, plädieren zwei Intensivmediziner für einen Perspektivwechsel – um den Sinn der ärztlichen Tätigkeit trotz hoher Belastung wiederzuentdecken, ähnlich wie Geistliche, die ihren Glauben verloren haben.
In ihrem
Artikel im British Medical Journal (BMJ) beschäftigen sich Dr. Peter Brindley und Matt Morgan mit der Sinn- und Vertrauenskrise in der Ärzteschaft sowie unter Pflegenden.
1 Hintergrund ist eine Umfrage des General Medical Council (GMC)
2, wonach mehr als ein Drittel der britischen Ärztinnen und Ärzte mit ihrer Karriere unzufrieden sind und viele sogar einen Ausstieg in Betracht ziehen. Als einer der ausschlaggebenden Faktoren nannten die Befragten Burn-out – etwas, das nach Meinung der Autoren zwar häufig und schwerwiegend, aber nicht unvermeidlich ist.
Viele Ärztinnen und Ärzte bewahren trotz hoher Arbeitsbelastung ihren Optimismus, andere hingegen fühlen sich gefangen, depressiv oder entwickeln sogar suizidale Gedanken. Diese Kolleginnen und Kollegen dürfe man nicht verurteilen, betonen die Autoren, vielmehr sollten offene Gespräche über seelische Belastungen selbstverständlich werden. Wie manche Geistliche, die ihren Glauben verloren haben, erlebten auch Ärztinnen und Ärzte mitunter eine Sinnkrise, einen Verlust ihrer ursprünglichen „Mission“.
Hilfe beim Glaubensverlust notwendig?
Brindley und Morgan verweisen in diesem Zusammenhang auf das Clergy Project, eine Initiative für religiöse Amtsträger, die ihren Glauben verloren haben. „Diese desillusionierten Geistlichen pflegen möglicherweise nicht mehr dieselben Riten und Rituale, werden aber dabei unterstützt, ihrem Beruf treu zu bleiben und ihren Gemeinden weiterhin zu helfen. Wir glauben, dass die Medizin dasselbe für Angehörige der Gesundheitsberufe tun sollte, die ihren Beruf weiterführen möchten, aber nicht verstehen, warum.“ Die Autoren plädieren daher für einen Mittelweg: „Zufriedenheit hängt vielleicht weniger davon ab, den Beruf aufzugeben, als vielmehr davon, eine neue Perspektive zu gewinnen.“ Denn für viele sei ein Ausstieg aus finanziellen Gründen oder aus Angst vor dem Ansehensverlust ohnehin oft unrealistisch.
In einem Vergleich schlagen die beiden Autoren vor, das eigene Glücksgefühl wie die Blutzuckermessung bei Diabetikern (HbA1c) über einen längeren Zeitraum zu messen – nicht nur die täglichen Höchst- und Tiefstwerte, sondern den Durchschnittswert im Verlauf, als sogenanntes „Glücksgefühl A1c“.
„Kein Job macht rund um die Uhr Spaß“
Zudem gelte es zu akzeptieren, dass Ärztinnen und Ärzte nicht die einzige Berufsgruppe sei, die existenzielle Krisen durchläuft. „Kein Job macht rund um die Uhr Spaß“, so ihre Aussage. Doch eine anhaltende Unzufriedenheit im Arztberuf birgt größere Risiken: Patientinnen und Patienten fühlen sich bei ihnen möglicherweise weniger sicher, das Gesundheitssystem muss mit höheren Kosten rechnen, und wenn ausgebranntes Fachpersonal seine Tätigkeit aufgibt, würde der Verlust die „ohnehin schon dünn besetzten Reihen“ weiter schwächen.
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